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Landeshauptstadt: Babyalarm

Gestern besuchten die beiden Frauen des Babybegrüßungsdiensts das 1000. Kind und seine Eltern

Stand:

Merle hat genug. Sie beginnt zu greinen. Egal, ob ihre Mutter sie bäuchlings auf dem Arm hält oder sie an ihrer Schulter tätschelt. Ihr reicht es jetzt. Und auch ihre Mutter, Nicole Menzel, sieht nicht mehr ganz so entspannt aus wie noch vor einer halben Stunde. Eben ist Max, ihr Ältester aus der Wohnung gelaufen. Der Dreijährige will allein den Garten erkunden. Das darf er nicht. „Halt, Max!“, ruft Nicole Menzel und rennt mit Baby auf dem Arm hinterher. Und nebenbei müssen sie und ihr Mann noch einem Fernsehteam Fragen beantworten und die Glückwünsche von Potsdams Sozialbeigeordneter Elona Müller entgegen nehmen. Denn Merle ist das 1000. Baby, das der Babybegrüßungsdienst besucht.

Seit acht Monaten sind die beiden Jugendamtsmitarbeiterinnen Kerstin Elsaßer und Regina Volkmer in Potsdam unterwegs. So will die Stadt Potsdam auch helfen, zu vermeiden, dass Kinder vernachlässigt werden. Demnächst sollen sie auch Verstärkung in ihrem Team bekommen. Denn das Pensum sei kaum noch zu schaffen, sagt Regina Volkmer. Jetzt stehen sie bei Familie Menzel im Wohnzimmer – Kerstin Elsaßer hat eine dicke Mappe unter ihren Arm geklemmt. Die hat sie für die neue Familie mitgebracht. Darin sind Informationen über Hilfseinrichtungen, Schulen, Kitas und das Buch „Kinder schützen, Unfälle vermeiden“.

Endlich sind die Gratulanten und das Fernsehteam gegangen und die beiden Frauen setzen sich mit Familie Menzel an den Wohnzimmertisch. Im Regal daneben stehen noch die Glückwunschkarten zur Geburt. Acht Wochen ist Merle jetzt alt. Und gerade ist sie auch wieder ruhig geworden. Es folgt eine offizielle Begrüßung der kleinen Merle. Sie klingt sehr offiziell. „Wir wollen herausfinden, wo liegen ihre Bedarfe, wo ihre Bedürfnisse“, sagt Kerstin Elsaßer. Die Priorität sei dabei das Wohl des Kindes. Weil Nicole Menzel und ihr Mann Roman in Berlin Sozialpädagogik und Soziale Arbeit studieren, verstehen die beiden tatsächlich, was die Jugendamtsmitarbeiterinnen meinen.

Sie wollen das Gleiche, das Beste für ihre Kinder, und hören darum interessiert zu. Die 31-jährige Mutter fragt sich vor allem, wie sie einen Kindergartenplatz für ihre Tochter bekommt. Denn ab nächstem Jahr möchte sie wieder studieren. Das Problem: Das Semester beginnt im April, mitten im Kindergarten- und Schuljahr. Zu so einer Zeit wollen die Kindergärten keine Kinder annehmen, sagt Nicole Menzel. Kerstin Elsaßer weiß Rat: Sie zieht die Kindergarten-Broschüre aus der Begrüßungsmappe und streicht eine Telefonnummer an. „Rufen Sie da mal an“, sagt sie. „Ich denke eine Kinderbetreuung wäre das Richtige für sie.“ Die zertifizierten Tagesmütter kosteten genauso viel wie ein Kindergartenplatz.

Trotzdem, über die langen Wartezeiten für einen Kita-Platz hätten sich schon viele Eltern beschwert, erzählt Kerstin Elsaßer. Sie und ihre Kollegen fragen bei jeder ihrer Stippvisiten auch, was die Eltern an ihrem Umfeld stört. Manche kritisierten, dass es zu wenig Niederflurbahnen gibt, andere, dass die Spielplätze in der Nachbarschaft schmutzig seien. Vielen sind auch die Wohnungen in Potsdam zu teuer oder wie den Menzels die Kosten für Heizung und Strom. Am meisten stört Nicole Menzel aber, dass es bisher kaum Cafés gibt, in denen Wickeltische stehen. „Überhaupt wird man oft doof angeguckt, wenn man mit einem Kind in ein Café geht“, sagt sie. „Ich glaube, viele fühlen sich gestört.“ Das passe nicht zu einer familienfreundlichen Stadt. Dabei gilt Potsdam im Familienatlas 2007, den das Wirtschafts- und Beratungsinstitut Prognos im Auftrag der Bundesregierung erstellt hat, als familienfreundlichste Stadt Deutschlands. Merle ist das egal. Sie hat jetzt Hunger und schreit wieder.

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