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Von Matthias Matern: Bankdirektor Marx und die vergessenen Blüten 2006 wurden die ersten Havelblüten gedruckt. Etabliert hat sich Regionalwährung bislang nicht

Morgens 8.15 Uhr: Uwe Kellermann bekommt neue Ware für seinen kleinen Q-Regio-Laden.

Von Matthias Matern

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Morgens 8.15 Uhr: Uwe Kellermann bekommt neue Ware für seinen kleinen Q-Regio-Laden. An der Ecke von Rudolf-Breitscheid-Straße / Karl-Liebknecht-Straße brettert der Berufsverkehr über die Kreuzung. Während Biobauer Christian Hoffmann aus Dahnsdorf (Potsdam-Mittelmark) Kisten voll Kartoffeln, Zwiebeln, Petersilie und Mohrrüben in den Verkaufsraum schleppt, zählt Ladeninhaber Kellermann die Scheine ab. Rund 70 bis 80 Kilogramm Gemüse hat Hoffmann an diesem Tag geliefert. Eigentlich müsste der Biolandwirt dafür 120 Euro bekommen. Bezahlt wird er jedoch in einer Währung, von der in Brüssel vermutlich noch nie jemand etwas gehört hat – der Havelblüte, eine von derzeit rund 40 sogenannten Regionalwährungen in Deutschland.

Die genaue Zahl sei schwer zu bestimmen, meint Kellermann. „Das sind alles Idealisten, die sich auf den Weg machen. Bei vielen reicht die Kraft irgendwann nicht mehr aus.“ Kellermann ist selbst einer der Idealisten, die sich neben der eigentlichen Arbeit noch um den Aufbau eines alternativen Bezahlsystems kümmern. Vor rund vier Jahren hat er die ersten Havelblüten drucken lassen. Seitdem kreisen sie mehr oder weniger rege in Potsdam. Rund einhundert sogenannte Akzeptanzstellen soll es geben, darunter Arztpraxen, Gebäudereinigungsbetriebe, Geschenkeläden, das Diakonische Werk Potsdam oder eine Tanzschule. Auch einige, wenige Lebensmittelläden und Bistros sind gelistet. Entweder komplett, zumindest aber zu einem gewissen Prozentsatz können dort Dienstleistungen oder Produkte mit den Havelblüten bezahlt werden, so die Idee. Sogar Havelblüten-Konten samt Bankkarten und Überweisungsträger gibt es. „Rund 80 Karten wurden in Potsdam bisher ausgegeben“, schätzt Kellermann. Eine in sich geschlossene Wertschöpfungskette also, die das Geld in der Region halten soll. Nicht selten kommen die Monopoly-Geld großen Banknoten deshalb zu ihrem Namensgeber zurück. „Meine Frau arbeitet in Potsdam“, erzählt Biobauer Hoffmann. „Gelegentlich geht sie zum Feierabend noch bei Kellermann Wurst, Brot oder Käse kaufen.“

Als engagierten Ökozausel, der was Tolles für seine Region macht, will Kellermann seine Havelblüten-Initiative nicht verstanden wissen. „Ich weiß, das schreiben die Zeitungen immer gerne, weil es sich so knuffig anhört“, erzählt der 36-Jährige. Irgendwie ist ihm anzumerken, dass er dieses Klischee bereits mehr als nur leid ist. Dabei reicht der Grund für Kellermanns Nebenjob als Finanzexperte viel weiter als nur bis zum Potsdamer Tellerrand. „Dahinter steckt die Erkenntnis, dass das bestehende Finanzsystem der Welt unter Wachstumszwang steht und somit unweigerlich auf den Kollaps zusteuert“, referiert er. Weil die Havelblüte aber jährlich um einen bestimmten Betrag an Wert verliere, sei das Horten der Scheine sinnlos. „Entweder man gibt es schnell wieder aus, oder verborgt es mehr oder weniger zinslos an jemand anderes, der damit eine sinnvolle Anschaffung tätigen kann“, erläutert der ehrenamtliche Währungs-Revolutionär.

Die Tage der Havelblüte jedoch sind gezählt. Zusammen mit dem Steintaler, einer jungen Regionalwährung aus Bad Belzig (Potsdam-Mittelmark), und dem bereits etablierten Urstromtaler aus Sachsen-Anhalt soll die Havelblüte, wie berichtet, in den Regio aufgehen. „Wie beim Euro, bleiben die Regionen durch spezifische Motive auf den Noten erkennbar“, erzählt Uwe Kellermann. Entworfen wurde das Layout von Studenten der Fachhochschule Potsdam. „Ab Oktober gehen die ersten Geldscheine in Druck. Als erstes mit Motiven des Steintalers“, sagt der Havelblüten-Erfinder.

Durch den Zusammenschluss der drei Währungen ist die Zahl der Akzeptanzstellen sprunghaft auf 300 angestiegen. Rein theoretisch ist somit auch der Kundenstamm für Andreas Schöfer deutlich größer geworden. Sein Spielzeugladen „Galadriel“ in der Potsdamer Dortustraße ist nicht nur Akzeptanzstelle, sondern auch noch Bankfiliale, früher nur für die Havelblüte und nun auch für den Regio. Viel zu tun hat Schöfer an diesem Tag als Bankdirektor allerdings nicht, und sonst – auch nicht. „Ich habe so zwei bis drei Bankkunden, die regelmäßig kommen und etwas abheben“, erzählt er. Am Anfang, als die Havelblüte noch neu war, seien es deutlich mehr Kunden gewesen. „Viele fragen sich, welchen Vorteil sie eigentlich vom Regionalgeld hätten“, berichtet Schöfer. Warum er selbst mitmache? „Ich bin von der ökonomischen Einstellung her eher Marxist und für alles offen. Außerdem tut es ja nicht weh“, sagt der rote Bankchef und lacht.

Die Frage nach dem Nutzen der Havelblüte für den Endverbraucher stellt sich zumindest an diesem Tag berechtigt. Die Banknoten in Potsdams Innenstadt schnell an den Mann zu bringen, erweist sich als deutlich schwieriger als erwartet. Die wenigen Akzeptanzstellen, die alltägliche Gebrauchsgegenstände oder Snacks anbieten, sind entweder wegen Geschäftsaufgabe oder Urlaub geschlossen. Das Schuhgeschäft Schuhwerk in der Mittelstraße hat geöffnet. Inhaberin Martina Cornelius ist baff. „Ich hatte die Havelblüten fast vergessen. Bezahlen wollte damit bei mir noch niemand“, sagt sie. Vor etwa anderthalb Jahren sei sie gefragt worden, ob sie sich als Akzeptanzstelle registrieren lassen wolle. „Eigentlich sollte jemand vorbei kommen, um mir das System zu erklären. Ich habe doch gar keine Ahnung, wie das funktioniert“, sagt die Schuhverkäuferin.

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