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Von Erhart Hohenstein: Barocke Niedrigenergie

Ex-Buchbinderei-Haus wird saniert und ausgebaut

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Für das Bürgerhaus Charlottenstraße 115, besser bekannt als Buchbinderei Bullert, hat der Ausbau zu einem Niedrigenergiehaus begonnen. Das Berliner Unternehmen Energiewohnen GmbH richtet hier und im rechtwinklig anschließenden Haus Lindenstraße 46 im Erdgeschoss drei Gewerbeeinheiten und in den darüber liegenden Etagen sechs Wohnungen ein. Soviel waren es auch bisher. Jedoch werden in den beiden Obergeschossen die jeweils drei zu zwei Wohnungen zusammengefasst und durch Ausbau des Dachgeschosses zwei hinzugewonnen.

In den beiden Gebäuden werden die Leitungssysteme schall- und wärmegedämmt sowie brandsicher erneuert. Die Heizung erhält eine Wärmepumpe mit Speicher für die Brauchwasserbereitung. Die Fenster besitzen eine Wärmeschutzverglasung, die Fußbodenheizung ist für jeden Raum einzeln regelbar. Damit soll gegenüber konventionellen Lösungen weitaus weniger Energie verbraucht werden. Die Wohnungen werden an Interessenten verkauft und dann fertiggestellt.

Das Unternehmen betont, dass diese Art der Sanierung für zwei über 270 Jahre alte Innenstadtgebäude ungewöhnlich ist. In Abstimmung mit der Denkmalpflege sei man bemüht, bei der Sanierung das ursprüngliche Erscheinungsbild „möglichst weitgehend wiederherzustellen“. Dazu gehöre ein Fassadenanstrich in traditionellen Farbtönen, die mit denen der Nachbarbebauung harmonieren. Für die Neueindeckung des Dachs sollen Ziegel in historischen Formaten verwendet werden. Im Inneren will man noch vorhandene alte Holzbalkendecken reparieren und historische Wandputze auffrischen. Gleiches gilt für die Stufen und Geländer der Treppenhäuser. Dennoch bringt die Sanierung der beiden Häuser Eingriffe in die Denkmalsubstanz mit sich. So werden beim Ausbau der Wohnungen zur Straße hin Dachgauben verändert bzw. an der Charlottenstraße hinzugefügt. Zur Hofseite sind Balkons und Dachterrassen geplant.

Die beiden Häuser wurden 1734 unter Friedrich Wilhelm I. im Zuge der zweiten barocken Stadterweiterung errichtet: die Charlottenstraße 115 (ursprünglich Nr. 94) für den Brauer Bönicke, die Lindenstraße 46 für den Sägenschneider Rauchfuß. In den 70er und 80er Jahren des 18. Jahrhunderts wurde die Charlottenstraße unter Friedrich II. mit prachtvollen Bürgerpalästen neu bebaut; die Nr. 94 aber blieb als einer der wenigen von seinem Vater und Vorgänger stammenden Eckbauten stehen. Später wurden die Geschäfte im Erdgeschoss unterschiedlich genutzt, etwa für die Schneiderei und Dampfbügelanstalt der jüdischen Familie Fraylich, die Eigentümer der beiden Häuser war. Sie musste ihren Besitz in der Nazizeit aufgeben – die Immobilie wurde 1939 von dem Buchbindermeister Max August Bullert erworben. Der bereits 1895 in der Lindenstraße 27 gegründete Handwerksbetrieb feierte dort noch sein 100-jähriges Bestehen, dann wurden die Häuser an die Nachfahren der Alteigentümer rückübertragen. Eine Möglichkeit, die Buchbinderei an dieser Stelle auch in der fünften Generation weiterzuführen, ergab sich nach dem Eigentümerwechsel anscheinend nicht.

Erhart Hohenstein

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