
© Rebecca F. Miller
Landeshauptstadt: „Bei den Kita-Gebühren gibt es Spielräume nach oben“
Potsdams scheidender Jugendamtschef Norbert Schweers über schärfere Kontrollen von Sozialträgern, „Freiland“ und Herausforderungen für seinen Nachfolger
Stand:
Herr Schweers, Sie beenden nach zehn Jahren ihre Arbeit als Chef des Jugendamts. Sie sagen, Sie hinterlassen ein bestelltes Feld. Auch Oberbürgermeister Jann Jakobs findet nur lobende Worte. Mal ganz ehrlich: Ist wirklich alles eitel Sonnenschein?
Es ist nie alles erledigt. In der Jugendhilfe gibt es viele Projekte, die mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Dazu gehört etwa eine neue Kita-Finanzierungsrichtlinie. Aber im Rückblick überwiegen über die Jahre hinweg vor allem gute Ergebnisse, die Jugendhilfeausschuss und Verwaltung gemeinsam erzielt haben.
Die Wirtschaftsforscher von Prognos haben Potsdam gerade wieder zu einer der familienfreundlichsten Städte Deutschlands gekürt. Dennoch sind täglich Familien in Potsdam unterwegs, die eine wohnortnahe Kita für ihr Kind suchen. Und die Mieten steigen. Zeichnet das Prognos-Urteil das richtige Bild der Stadt?
Der Prognos-Atlas betrachtet 25 verschiedene Kriterien, etwa zur Kita-Versorgung. Da sind wir im Vergleich zu anderen Kommunen, gerade in Westdeutschland, schon sehr gut. Andere Kennziffern wie bezahlbarer Wohnraum fallen nicht so gut aus. In der Summe ist es aber so, dass die Stadt im Vergleich von mehr als 400 Kommunen ganz vorne liegt. Sehr gut bewertet Prognos die freiwilligen Aktivitäten wie etwa die lokalen Bündnisse für Familie, den Babybegrüßungsdienst oder die lokalen Familienzentren.
Auf Ihren Nachfolger warten große Aufgaben: Ab dem Sommer 2013 besteht deutschlandweit ein Rechtsanspruch für die Betreuung von Kindern ab einem Jahr statt wie bisher ab drei Jahren. Glauben Sie, dass Potsdam den erfüllen kann?
Ja. Wir rechnen mit einer Versorgungsquote von 65 Prozent bei unter dreijährigen Kindern. Damit müssen wir im Gegensatz zu anderen Kommunen keine Klagewelle befürchten. Denn Eltern werden dann gute Aussichten bei Klagen gegen Kommunen haben, wenn sie nicht in angemessener Zeit einen Kitaplatz bekommen. Das kann sogar dazu führen, dass Lohnersatzleistungen gezahlt werden müssen. In Potsdam wird es allerdings nicht immer möglich sein, in jedem Stadtteil genügend Plätze anzubieten. Da gibt es in der Innenstadt oder in Babelsberg einfach bauliche Grenzen für neue Kitas und Krippen. Nachholbedarf besteht auch im Bornstedter Feld. Aber ich bin sicher, dass der zuständige kommunale Entwicklungsträger diesen Bedarf schnell decken wird – drei Kitas sollen dort noch folgen.
Stichwort Kita-Finanzierungsrichtlinie: Eine neue Regelung, mit der die Kita-Träger bei der Verwendung von öffentlichen Geldern stärker kontrolliert werden sollten, ist nicht beschlossen worden. Sie leiten nun bald einen Träger, der selbst Kitas in Potsdam unterhält. Glauben Sie dennoch, dass schärfere Kontrollen nötig sind?
Selbstverständlich. Auch bei dem neuen Träger bleibe ich ja im öffentlichen Dienst. Und Transparenz und Kontrolle hilft allen Seiten. Die neue Kita-Richtlinie, die wir gerade im Amt erarbeiten, wird in diesem Punkt noch konkreter.
Können Sie das erklären?
Die vielen Tiefenprüfungen, die wir bei Trägern durchgeführt haben, zeigen, wie sinnvoll es ist, dass wir mehr Einblick in Vorgänge bekommen. Nur so haben wir etwa die Möglichkeit, zum Einsatz von Personal konkretere Erkenntnisse zu gewinnen. Der allergrößte Teil der Kita-Träger kann mit so einer Richtlinie übrigens gut leben.
Aber warum sind denn verschärfte Kontrollen notwendig?
Kontrolle ist ein starker Begriff – ich würde lieber Tiefenprüfung sagen. Ich finde es legitim, dass die Träger der Stadt bestimmte Leistungen in Rechnung stellen, die sie für erforderlich halten. Die Stadt muss dann prüfen, ob die Richtlinie dies hergibt und zum Beispiel für eine bestimmte Kinderzahl das entsprechende Personal eingesetzt wurde. Es geht auch um die Frage, ob die Träger die Elternbeiträge sorgfältig erheben.
Diese Beiträge sind für einige Eltern auch ein Reizthema. Seit 2003 wurden sie nicht mehr angepasst. So gibt es nun die Situation, dass Eltern mit einem Jahreseinkommen von knapp über 77 000 Euro den Höchstsatz zahlen – und zwar die gleiche Summe, die auch Eltern mit 150 000 Euro Einkommen pro Jahr tun. Sollte Ihr Nachfolger hier nachbessern?
Da möchte ich keine Ratschläge erteilen. Es gäbe aber Spielräume nach oben. Vor zehn Jahren wurde die 77 000-Euro- Grenze durch die Rechtsprechung gesetzt – Kommunen dürfen nicht mehr einnehmen, als der Platz kostet, hieß es damals. Aber durch die Preissteigerung in den vergangenen Jahren würde man diesen Betrag erheblich erhöhen können. Den Potsdamer Weg, von Geringverdienern keine oder nur geringe Gebühren zu erheben, finde ich aber nach wie vor sehr richtig. Denn Krippen und Kitas können dafür sorgen, Bildungsnachteile für Kinder aus sozial schwächeren Familien zu beseitigen.
Für Ihren Nachfolger steht auch die Umsetzung des neuen Kinderschutzgesetzes an. Wo sehen Sie da die Schwierigkeiten?
Da sind wir jetzt schon gut aufgestellt, da wir in den vergangenen Jahren bei diesem Thema mehr gemacht haben als vorgeschrieben. So wird nun erwartet, dass Kommunen Netzwerke aufbauen, damit möglichst früh Hilfe in Sachen Kinderschutz geleistet werden kann. Wir haben da zum Beispiel den Babybegrüßungsdienst und das Netzwerk „Gesunde Kinder“ – anderswo müssen solche Strukturen noch aufgebaut werden.
Aber das neue Gesetz verlangt noch deutlich mehr von den Jugendämtern
Auf die Städte und Gemeinden kommen viel mehr Beratungspflichten zu. So können sich Geheimnisträger wie Kinderärzte, Logopäden oder Psychologen nicht mehr auf ihre Schweigepflicht berufen, sondern müssen bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung die Jugendämter einbeziehen. Zugleich haben sie damit einen Beratungsanspruch, den die Jugendämter erfüllen müssen. Da sind in Potsdam noch Netzwerke aufzubauen, die es momentan nicht gibt. Leitlinie muss weiterhin sein, proaktiv Hilfe anzubieten statt nur mit Eingriffen in Elternrechte – bis hin zur Wegnahme von Kindern – zu reagieren.
Zurück zur Zukunft des Jugendamts: Welches Thema wird Ihrem Nachfolger noch viel Kopfzerbrechen bereiten?
Jugendkultur und Freiräume werden weiterhin ein großes Thema bleiben.
Als scheidender Jugendamtschef können Sie Prognosen wagen. 2013 wird über die Fortführung des „Freiland“-Projekts entschieden. Kritiker halten es politisch für zu links. Wie sehen Sie dessen Zukunft?
„Freiland“ läuft sehr gut. Die Erkenntnisse, die ich habe, sind sehr positiv. Sicher werden die Akteure im „Freiland“ aber zusehen müssen, dass sie möglichst viele Gruppen der Stadt an sich binden, um den Vorwürfen der Linkslastigkeit und der Isolierung entgegenzuwirken.
Und wie ist das beim „Waschhaus“, das sich in einer tiefen Krise befindet?
Hierzu fehlen mir tiefere Einblicke.
Eingesetzt haben Sie sich schon immer für das „Archiv“ in der Leipziger Straße. Braucht die Stadt dieses Haus?
Für mich ist das „Archiv“ das erfolgreichste Jugendkulturzentrum der Stadt – vor allem, wenn man sieht, dass dort seit 20 Jahren eine Linie durchgehalten wird, viele junge Leute das Haus nutzen und nie Betriebskostenzuschüsse durch die Stadt gezahlt wurden. Ich denke, diese Debatte muss insgesamt fern von politischen Kategorien wie links oder rechts geführt werden. Es geht vielmehr um die Frage, wie viel Subkultur und Eigenverantwortlichkeit junger Menschen eine Kommune haben will. Potsdam hat eine Jugendkulturszene, um die uns viele Städte beneiden. Dafür sind immer auch Räume nötig.
Die Fraktion der Potsdamer Demokraten kritisiert, dass für Familien viel, aber wenig für die Senioren getan werde.
Das sehe ich nicht. Es ist nicht korrekt, wenn kritisiert wird, es gebe angeblich zu wenige Pflegeplätze in Potsdam. In unserer Stadt bemühen wir uns darum, dass viele Senioren zu Hause bleiben und dort selbstbestimmt leben können. Aber Herr Schultheiß (von den Potsdamer Demokraten - d.Red.) hat sich in den vergangenen Jahren immer konsequent gegen unsere Ausgaben für Kinder-, Jugend-, Frauen- und Familienförderung ausgesprochen. Ich bin da anderer Meinung und finde, dass Bevölkerungsgruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten.
Herr Schweers, Sie verlassen einen sicheren Job als viel gelobter Jugendamtsleiter und haben einen Fünf-Jahres-Vertrag beim Evangelischen Jugend-Förderwerk (EJF) unterschrieben. Warum gehen Sie?
Ich bin jetzt schon über zehn Jahre als Jugendamtsleiter tätig und gehöre über Potsdam hinaus zu den dienstältesten Amtsleitern. Viele andere gehen nicht freiwillig, weil sie wegen Kinderschutzfällen oder anderen Problemen neue Aufgaben bekommen. Ich gehe in einer Situation, in der ich mich sehr wohl fühle. Zur Hälfte meines Berufslebens kann ich nun neue Aufgabenfelder kennenlernen. Und das EJF hat große Substanz und vielfältige Angebote in mehreren Bundesländern.
Der Oberbürgermeister hat angeordnet, dass das Rechnungsprüfungsamt alle Vorgänge der vergangenen zwei Jahre im Jugendamt prüfen soll, bevor Sie Ihren neuen Job beim EJF antreten. Sie gehen wirklich reinen Gewissens?
Diese Überprüfung war auch mein Vorschlag, damit nicht irgendwelche Missverständnisse entstehen. Wichtig ist, dass die Entscheidung zur Übernahme von neuen Angeboten immer der Jugendhilfeausschuss trifft und nicht der Jugendamtschef allein. Insofern ist der Wechsel auf die andere Seite des Tisches ein ganz normaler Vorgang. Das EJF macht auch nur knapp acht Prozent seines Gesamtumsatzes in Potsdam.
Sie können Potsdam jetzt von außerhalb betrachten. Was wünschen Sie sich am meisten, was sollte sich in der Stadt in den kommenden Jahren ändern?
Ich finde, Potsdam ist auf einem sehr guten Weg. Viele Herausforderungen entstehen aus dem starken Bevölkerungswachstum. Es wird darum gehen, bezahlbaren Wohnraum zu ermöglichen, soziale Infrastruktur zu schaffen und die vielfältigen Interessen der sehr differenzierten Bevölkerung unter einen Hut zu bringen – es bleibt eigentlich alles so wie bisher.
Die Fragen stellte Henri Kramer
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