
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Bei Null anfangen zu leben
Das Wohnprojekt für Flüchtlinge in Potsdam-West feierte Sommerfest. Das Zusammenleben mit den Nachbarn klappt mittlerweile gut
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Das Leben neu beginnen – das war das Ziel, das Zoran vor Augen hatte, als er vor sechs Monaten mit seiner Familie nach Deutschland kam. Doch erst jetzt hat er tatsächlich das Gefühl, seinen Traum in die Realität umzusetzen. „Ich hatte nichts und fange jetzt erst an, richtig zu leben“, sagt der serbische Flüchtling, der seit einem Monat gemeinsam mit seiner Frau Ivana und seinem Sohn Vukasin im Wohnprojekt für Asylbewerber in der Haeckelstraße lebt. Am vergangenen Samstag feierten die Bewohner des Wohnprojektes auf der „Platte“ in Potsdam-West ein Nachbarschaftsfest.
„Hier ist mittlerweile Normalität eingetreten“, sagt Frederike Hoffman, Teamleiterin und Mitarbeiterin beim Internationalen Bund, dem Träger des Projektes in der Haeckelstraße. Normalität sowohl für die 61 Bewohner unterschiedlichster Nationalitäten und auch Normalität für die Potsdamer, die sich seit dem Einzug der ersten Bewohner vor knapp zehn Monaten Tür an Tür mit verschiedenen Kulturen und Lebensweisen konfrontiert sehen. Es ist das erste von mittlerweile drei solcher Unterbringungsprojekte, mit der die Stadt Potsdam bundesweit Vorreiter ist: Auch im Staudenhof-Block in der Innenstadt sowie am Stern gibt es ähnliche Wohnprojekte.
„Anfangs waren wir natürlich sehr skeptisch“, gesteht Anwohnerin Annika Richter in der Haeckelstraße. Schließlich habe keiner gewusst, was genau für Menschen plötzlich in ihrem Aufgang einziehen würden. Die Angst vor dem Unbekannten habe auch sie anfangs ablehnend auf das Projekt reagieren lassen, sagt sie. Denn als Mutter eines vierjährigen Sohnes und einer fünfjährigen Tochter habe sie vor allem die Sicherheit ihrer Kinder in Gefahr gesehen. Doch nach anfänglichen Unsicherheiten im Umgang miteinander seien gerade über die Kinder, die fast jeden Nachmittag miteinander spielen, nun enge Freundschaften entstanden. „Hier gibt es nicht mehr Kriminalität oder mehr Müll. Das ist nur die Darstellung, die bei denjenigen vorherrscht, die das Projekt nicht miterleben“, ärgert sich die 29-Jährige heute über diese Vorurteile. Alle Bewohner seien immer hilfsbereit und herzlich. Eher bereicherten Aktionen wie ein gemeinsames Kochen die Gemeinschaft in ihrem Wohnblock.
„Generell gab es in den vergangenen Monaten nur sehr wenige negative Äußerungen von Anwohnern. Viel eher gab es Hinweise, wenn Bewohner mit der Mülltrennung oder Ähnlichem noch nicht so richtig klarkamen“, berichtet Frederike Hoffmann, die jedem Bewohner auch bei kleinem Problemen, wie bei der Bedienung eines Wasserkochers, zur Seite steht. „Viele kommen aus Gegenden, wo man so etwas nicht kennt“, erklärt sie.
Ihre Aufgabe sei es, die Bewohner zum eigenständigen Leben in der neuen Heimat anzuleiten. Denn viele der Flüchtlinge leben in Potsdam zum ersten Mal in geregelten Verhältnissen.
So auch Zoran, der in Serbien ohne Eltern aufwuchs und seine Familie ohne Arbeit nur schwer ernähren konnte. Als politischer Flüchtling und aus der Verzweiflung heraus entschied er sich für den Versuch, in Deutschland ein neues und besseres Leben aufzubauen. „Wir sind unglaublich glücklich in Potsdam und hoffen natürlich, hierbleiben zu dürfen“, sagt der 34-Jährige, der momentan in einer Drei-Zimmer-Wohnung lebt. Ein Luxus, den er bis dahin nicht kannte. „Genauso wie die Möglichkeit, einfach immer zu kochen, wann man will“, meint er lachend. Auf die Entscheidung über sein Asylverfahren wird Zoran vermutlich noch eine Weile warten müssen. „Sechs Monate sollte so etwas eigentlich dauern, manchmal verzögert sich das aber auch bis zu drei Jahre“, erklärt Hoffmann. Bis dahin hofft Zoran, dass sein Sohn Vukasin hier die Schule besuchen kann. In Serbien sei das nämlich so gut wie gar nicht möglich. Und obwohl seine Zukunft sonst noch sehr unsicher ist, merkt Zoran schon jetzt eines ganz genau: Sein neues Leben hat bereits begonnen.
Chantal Willers
Chantal Willers
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