Landeshauptstadt: Bei Sorgen, Anruf
Fast 10 000 Mal haben 2007 Jugendliche Telefonseelsorgern ihre Probleme erzählt oder sie einfach angeschwiegen
Stand:
Manche rufen an, um nichts zu sagen. 20 Prozent legen gleich wieder auf. Und fünf Prozent schweigen einfach in den Telefonhörer. Ein Junge ist Sabine Groß* in Erinnerung geblieben. Er hat geredet. Über eine Stunde lang. Über Gott, das Leben, die Welt, erzählt Sabine Groß. Er hat sie sehr beeindruckt. „Wir haben uns wie Erwachsene unterhalten, gemeinsam philosophische Gedanken gesponnen.“ Dabei war der Junge höchstens zwölf Jahre alt gewesen. Er hatte sich aus der Wohnung gesperrt und musste warten, bis der Vater nach Hause kam. Weil es Winter war und kalt, hatte er sich mit seinem Handy in den Keller gesetzt.
Der Junge war einer der Kinder und Jugendlichen, die jedes Jahr Rat bei Potsdamer Telefonseelsorgern wie Sabine Groß suchen. 8350 mal haben sie 2007 die Nummer des Kinder- und Jugendtelefon Potsdams gewählt, die „Nummer gegen Kummer“. Bei der Potsdamer Telefonseelsorge riefen 1242 mal Elf- bis 19-Jährige an. Hauptsächlich melden sich Mädchen, mehr als zwei Drittel der Anrufer sind weiblich. Besonders oft rufen die 13-, 14-Jährigen an. Die meisten der Kinder und Jugendlichen, nämlich 59,1 Prozent, geben an, Probleme mit sich selbst zu haben. Rund 22 Prozent haben demnach Probleme mit ihrem Freund oder ihrer Freundin, 11,6 Prozent mit den Mitschülern oder der Clique, und 8,5 Prozent mit den Eltern. Und einige rufen nur so zum Scherz an.
Sabine Groß hört den Kindern und Jugendlichen am anderen Ende zu, tröstet,versucht Hoffnung zu geben und zu ermutigen. Sie berät sie zum Thema Partnerschaft und Liebe, gibt ihnen Tipps im Umgang mit den Eltern. Sie sagt ihnen, wo sie professionelle Hilfe finden können. Zum Beispiel, wenn es um Verhütung geht. 24 Stunden sitzen sie und ihre 95 Kollegen vor dem Telefon der Telefonseelsorge – freiwillig. Geld bekommen sie nicht dafür. In Vierstunden-Schichten wechseln sie sich ab. Jeder und jede Ehrenamtliche absolviert etwa drei Schichten pro Monat. Am Kinder- und Jugendtelefon warten 36 ehrenamtliche Helfer auf Anrufe. Montags bis Samstag von 15 bis 19 ist es besetzt, am Freitag sogar von 14 bis 21 Uhr.
Sabine Groß liegt während ihrer Schichten oft auf der grünen Couch, die in dem kleinen Zimmer steht. Auf dem Tischchen vor ihr stehen Kekse und über all sind Zimmerpflanzen. Meistens liest sie ein Buch. Nur wenn das Telefon klingelt, setzt sie sich an den Schreibtisch, auf dem es steht. Denn sie muss sich konzentrieren. Rund sechs Mal pro Schicht hat sie einen Hilfesuchenden in der Leitung.
Der Ort muss geheim bleiben, genauso wie der richtige Name von Sabine Groß. Denn die Anrufer wollen ja niemandem ihre Sorgen und Ängste mitteilen, den sie kennen. Sie tragen ja Probleme mit sich herum, die sie nicht unbedingt ihren Bekannten oder Freunden erzählen wollen und erst recht nicht ihren Eltern oder deren Bekannten. Manchmal haben die Anrufer sogar Gleichaltrige am Apparat. Bei der Telefonseelsorge arbeiten auch Jugendliche ab 20 Jahre. Sabine Groß ist aber schon 36. Die freie Theologin hat selbst zwei Kinder, sechs und elf Jahre alt. Um bei der Telefonseelsorge zu arbeiten, musste sie sich extra ausbilden lassen. Acht Wochenenden hat sie das gekostet, aber sie hat es gern gemacht. „Ich wollte etwas Gutes tun, etwas Sinnvolles“, sagt sie. Seit 2003 sitzt sie nun am Sorgentelefon.
Ihre Chefin Beate Müller sucht seit Mai bereits wieder nach neuen Ehrenamtlichen. Denn immer wieder ziehen Seelsorger fort, werden krank oder können aus anderen Gründen ihre freiwillige Aufgabe nicht mehr erfüllen. Ende Oktober beginnen die neuen Ausbildungskurse für die Telefonseelsorger. Die Mitarbeiter des Kinder- und Jugendtelefons erhalten sogar noch einmal ein spezielles Training im Umgang mit Jugendlichen und deren Krisen. Die Interessenten, die sich dann bei Beate Müller melden werden in Gesprächen geprüft, ob sie für diese Arbeit überhaupt geeignet sind. *Name geändert
Telefonseelsorge: (0800) 111 0 111
Kinder- und Jugendtelefon: (0800) 111 0 333
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