Landeshauptstadt: Beileibe kein Auslaufmodell
Stadthistoriker Hartmut Knitter wird heute 70 / Ehrung im Museumshaus Benkertstraße 3
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Stadthistoriker Hartmut Knitter wird heute 70 / Ehrung im Museumshaus Benkertstraße 3 Auf seinen bevorstehenden 70. Geburtstag angesprochen, antwortete Hartmut Knitter mit dem ihm eigenen trockenen Humor: „Das ist doch nicht so wichtig, ich bin ein Auslaufmodell“. Doch im nächsten Moment führt er das „Auslaufmodell“ selbst ad absurdum. Indem er zum Beispiel am Vorabend des 60. Jahrestages des missglückten Hitler-Attentates durch die diesem Ereignis gewidmete Ausstellung in der ehemaligen Kaserne des Infanterie-Regiments 9 führt. An deren Konzept und Gestaltung war er während seiner Tätigkeit am Potsdam-Museum nicht unwesentlich beteiligt. Wenn Knitter über Potsdam und dessen Geschichte erzählt, sprudelt er förmlich über, da schöpft er aus dem reichen Fundus seines Wissens über die Stadt, weiß genau, was vorher hier und dort stand, bevor die Kriegszerstörung einsetzte, und welcher Polizeipräsident wann im Amt war, welcher Monarch oder Oberbürgermeister in welchen Details die Geschicke der „Preußenmetropole“ bestimmte. Knitter braucht kein Rede-Manuskript, er schöpft aus dem Vollen, ist ein wandelndes Lexikon der Stadtgeschichte. Der agile Mann kennt die alten Straßennamen genauso wie die neuen und weiß, warum und wann Straßen und Plätze umbenannt wurden, kennt jedes Haus, jeden Stein. Geduldig, humorvoll und mit eingefleischtem Potsdamer Dialekt gibt er sein Wissen weiter, sei es an die Besucher seiner Vorträge und Führungen, an wissbegierige Journalisten oder an Persönlichkeiten wie den Ex-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Wie die meisten Potsdamer ist Hartmut Knitter nicht hier geboren. Seine Wiege stand in der ostbrandenburgischen Kreisstadt Soldin, dem heutigen polnischen Mydlibvrz. Die Jugendjahre verlebte er in Bleicherode in Thüringen, wohin es die Familie nach Vertreibung und Flucht verschlug. Das Interesse für ein „Heimatmuseum“ entstand während seines Geschichtsstudiums in Halle. Potsdam hatte er bereits im Praktikum kennen gelernt; nach Abschluss des Studiums wurde die Stadt ab 1957 sein neuer Arbeitsort. Die Ausstellungs-, Sammlungs- und Publikationstätigkeit Knitters während seines über vierzigjährigen Wirkens als Leiter der Abteilung Geschichte am Potsdamer „Bezirksheimatmuseum“ wiederzugeben, hieße ein Buch füllen. Zusammen mit Hans-Joachim Giersberg gab er zum Beispiel 1978 den Tourist Stadtführer-Atlas heraus, der auch heute eine zuverlässige Quelle ist, nicht nur, wenn zum Beispiel die Lebensdaten eines Potsdamer Baumeisters oder dessen Vorname gefragt sind. Lange befand sich Knitters Arbeitsplatz in der verfallenen Villa in der Puschkinallee 7. Das Ambiente: der Lehnsessel des ersten Nachkriegs–Ministerpräsidenten Brandenburgs und der SekretärinnenSchreibtisch der letzten deutschen Kaiserin. Anhand britischer Originaldokumente rekonstruierte Hartmut Knitter den Tag der Zerstörung des historischen Potsdams am 14. April 1945 und veröffentlichte dazu 1969 einen umfangreichen Aufsatz. Unfreiwillig wurde Knitter Zeuge des Abrisses der übrig gebliebenen Zeugnisse des alten Potsdams. Viele Originalbauteile der Garnisonkirche sicherte er. So erinnerten die Klöppelfragmente des Glockenspiels in der Geschichtsausstellung des Potsdam-Museums an das berühmte Glockenspiel, das in der Nacht vom 14. zum 15. April 1945 vom brennenden Turm stürzte. Es gelang Knitter und seinen Mitarbeitern, nach dem Wiederaufbau des zerstörten Flügels des Ständehauses in der Breiten Straße, den Potsdamern hier und in den Hiller-Brandtschen Häusern eine komplette stadtgeschichtliche Ausstellung von den Anfängen bis zum Jahre 1945 zu präsentieren. Während der Vorbereitung auf das 1000-jährige Stadtjubiläum 1993 war der Historiker besonders gefragt.Das Museum zeigte bisher nie gesehene Schätze des Hauses, die ohne Knitter niemals hierher gelangt wären. Schließlich gehen auch die Museumshäuser in der Hermann-Elflein-Straße und in der Benkertstraße 3, in dem Potsdam heute „seinen Historiker“ öffentlich ehrt, auf sein Konto.
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