Von Antje Horn-Conrad: Beim „Italiener“ in der Schule
Wie Schüler der Pierre de Coubertin-Oberschule in Potsdamer Betrieben Berufe erkunden
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Christian hat es gut. Jeden Mittwoch kann er ausschlafen. Auch wenn er sich dann am Nachmittag endlich aus dem Haus begibt, muss der Neuntklässler nicht zur Schule gehen. Stattdessen spaziert er geradewegs in ein italienisches Restaurant. Allerdings nicht in den Gastraum, sondern in die Küche an seinen Arbeitsplatz auf Zeit.
An allen anderen Tagen der Woche lernt Christian ganz normal an der Potsdamer Pierre de Coubertin-Oberschule im Wohngebiet am Stern. Eine Schule, die ihre Schüler mit einem außergewöhnlichen Praxisprofil auf die Berufsausbildung vorbereitet. Denn nicht nur Christian hat einen Mittwochsjob auf Probe, sondern auch alle anderen Acht- und Neuntklässler. Der Ganztagsbetrieb der Coubertin-Oberschule macht es möglich, ohne Reduzierung des Unterrichts einen Arbeitstag pro Woche einzutakten, an dem die Schüler in soziale, technische und dienstleistende Berufe hineinschnuppern können. In ganz Potsdam und im Umland hat die Schule Kontakte zu Betrieben geknüpft und so ein Netzwerk geflochten, das die Jugendlichen bei der schwierigen Suche nach dem passenden Beruf auffängt.
Aus einem Katalog von Praxisplätzen können die Mädchen und Jungen nach ihren Interessen einen der Partnerbetriebe auswählen. Und dann läuft alles, wie im richtigen Berufsleben. „Die Schüler müssen Bewerbungen schreiben, Vorstellungsgespräche führen, sich in ein Team einfügen, pünktlich zur Arbeit kommen, zuverlässig sein“, berichtet die für das Praxislernen verantwortliche Lehrerin Heidrun Jäger. Im Fach „Wirtschaft, Arbeit, Technik“, kurz WAT, bereitet sie die Klassen darauf vor. Sie besucht mit ihnen die Unternehmen, übt das Bewerben und Präsentieren und lässt sie auch während der Arbeit nicht allein. Überall in den Betrieben vorbeizuschauen, kommt einem Marathonlauf durch die Potsdamer Wirtschaftswelt gleich: Autohäuser, Supermärkte, Handwerksbetriebe, wie die Bäckerei Braune oder die Braumanufaktur im Forsthaus Templin, gehören ebenso zum Parcours der Lehrerin wie die Gärtnerei von Sanssouci, diverse Restaurants, Kindergärten und Altenheime der Stadt.
Seit sechs Jahren kann Heidrun Jäger auf feste Kooperationspartner in den Potsdamer Betrieben zählen, ohne die das Praxislernen der Coubertin-Schule nicht funktionieren würde. „Wir brauchen verständnisvolle Betreuer, die den Schülern die Arbeitsabläufe erklären, auch Forderungen stellen und am Ende die Leistung beurteilen“, erklärt die WAT-Lehrerin.
Dreimal im Schuljahr wechseln die Jugendlichen ihren Praxisbetrieb, so dass sie nach der neunten Klasse in bis zu sechs verschiedene Berufsfelder Einblick erhalten haben. „Wir achten darauf, dass sie dabei nicht nur die geschlechtstypischen Berufe wählen“, sagt Heidrun Jäger. So nehmen auch die Mädchen mal die Maurerkelle in die Hand und die Jungen gehen als „Erzieher“ in den Kindergarten.
Für alle im Programm steht in der 8. Klasse ein Beruf in Uniform, ob bei der Polizei, der Feuerwehr oder bei der Bahn. Exkursionen dorthin bereiten die Schüler rechtzeitig auf die besonderen Anforderungen vor. Und manchmal springt dabei der Funke über. Christian zum Beispiel weiß schon jetzt, dass er einmal bei der Autobahnpolizei arbeiten möchte. Koch will er nicht werden, obwohl er derzeit im Schnupperpraktikum beim „Italiener“ durchaus auf den Geschmack gekommen ist.
Seine Mitschülerin Laura hat unterdessen andere Erfahrungen gemacht. In einem Altenheim verlor sie manche Illusion, die sie mit dem Pflegeberuf verband. Sehr anstrengend und bedrückend sei die Arbeit oft gewesen, erzählt sie.
„Die Schüler sollen sich ausprobieren, und manchmal ist es ganz wichtig, zu begreifen, was man nicht möchte oder kann“, beschreibt Heidrun Jäger den Erkenntnisprozess während des Praxislernens. Auch wenn ihnen ein Beruf nicht zusagt, müssen sich die Schüler intensiv mit ihm beschäftigen und darüber vor ihrer Klasse oder im Betrieb vor den Kollegen ein Referat halten. „Mit allem, was dazu gehört“, fordert die Lehrerin und weist in Richtung des Computerkabinetts der Schule, in dem die Schüler lernen, eine professionelle Präsentation zu erstellen. Am Ende gibt es ein Zertifikat, das die künftigen Oberschulabsolventen ihrer Bewerbung für einen Ausbildungsplatz beifügen können.
Eine Art Abschlussgratifikation ist auch das Drei-Gänge-Menü im Potsdamer Restaurant am Pfingstberg, bei dem alle Schüler gemeinsam von Gastronom Mario Kade einen Schnellkurs in Stil und Etikette erhalten. Dann darf sich auch Hilfskoch Christian das Menü schmecken lassen. Inzwischen kann er sehr genau einschätzen, welche Arbeit darin steckt.
Antje Horn-Conrad
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