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Landeshauptstadt: Beistand für norwegische Freunde

Die Schüler des Leibniz-Gymnasiums widmeten ihre erste Stunde den Anschlägen von Oslo und Utöya

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Es ist der erste Schultag nach den Sommerferien. In der Klasse 10a des Potsdamer Leibniz-Gymnasiums ist es still. Klassenlehrerin Sabine Dammnik steht vor ihren Schülern und blickt in nachdenkliche Gesichter. Die Jugendlichen sind mit ihren Gedanken in Norwegen. Die Attentate vom 22. Juli, bei denen 77 Menschen ums Leben kamen, sind das Thema der ersten Stunde. „Ich möchte, dass ihr über eure Gedanken und Gefühle sprecht“, fordert Dammnik ihre Schüler auf.

Die Jugendlichen sind von dem Bombenanschlag in Oslo und dem Massaker auf Utöya in besonderer Weise berührt. Denn seit dem Jahr 2010 existiert zwischen dem Leibniz-Gymnasium und der Schule in Lunner, einer nördlich von Oslo gelegenen Kleinstadt, eine Partnerschaft. Im März dieses Jahres besuchten Schüler aus der norwegischen Partnerschule Potsdam, im April reisten die Potsdamer Schüler nach Norwegen. Eine Woche lang lebten sie in den Gastfamilien der norwegischen Schüler, reisten nach Oslo, knüpften Freundschaften, verlebten eine unbeschwerte, schöne Zeit.

Heute ist die Stimmung der Jugendlichen gedrückt. Die meisten von ihnen waren gerade im Urlaub – bei den Großeltern im Schwarzwald, an der Ostsee, im Gebirge – als am 22. Juli die Nachricht von den Anschlägen um die Welt ging. Ein Anschlag in Norwegen – das könne nicht sein. Dies seien ihre ersten Gedanken gewesen, erzählt die 15-jährige Nadine. „Wir haben ja die Menschen dort erlebt, haben gesehen, wie freundlich und nett sie waren, da passt ein Anschlag überhaupt nicht hin.“ Nur wenige Monate zuvor waren die Potsdamer Schüler auch im Regierungsviertel von Oslo, besichtigten das Parlament und das Nobel-Friedenszentrum.

Nach den Anschlägen waren die Schüler aus Potsdam in Sorge um ihre Freunde und Bekannten aus Norwegen. Lunner ist nur 50 Kilometer von Oslo entfernt. Per Telefon und E-Mail versuchten die Schüler, die Norweger zu erreichen. Groß war die Erleichterung, als sich alle unversehrt zurückgemeldet hatten. Die Nachricht, dass die Mutter eines Schülers der Partnerschule nach den Anschlägen vermisst wurde, löste Betroffenheit aus. Bis jetzt wissen die Leibniz-Schüler nicht, ob die Frau, die im Regierungsviertel gearbeitet hat, auch unter den Todesopfern ist.

Die Schüler der 10a sprechen über ihre Erschütterung, Trauer und auch über ihre Wut. Nadine hat einen Zeitungsartikel vor sich. Er beschreibt, wie Anders Behring Breivik Polizisten über Utöya führt und die Erschießung der Menschen nachstellt. „Eigentlich fehlen einem die Worte für solche Taten, ich selbst bin zutiefst erschüttert und fassungslos“, sagt Dammnik. Auf der Fahrt nach Lunner hätten die Schüler die Offenheit und den Zusammenhalt der norwegischen Gesellschaft gespürt und genossen. Gemeinsam mit Schülern hat die Lehrerin einen Brief an die Partnerschule verfasst, den sie nun vorliest. „Heute, an unserem ersten Schultag nach den Ferien, ist es uns ein Bedürfnis, Euch unser tiefes Mitgefühl auszudrücken. Oslo haben wir als eine wunderschöne, ruhige und herzliche Stadt kennengelernt. Umso unvorstellbarer für uns, dass sich dort eine so grausame Tat ereignen konnte“, heißt es darin. Anschließend erheben sich die Schüler, um in einer Schweigeminute der Opfer in Norwegen zu gedenken.

In den nächsten Tagen und Wochen wollen die Schüler ihre Gedanken und Gefühle aufschreiben und so die Ereignisse verarbeiten. Die Blätter sollen gemeinsam mit dem Kondolenzbrief, Zeitungsartikeln und E-Mails auf einer Pinnwand im Klassenraum zu sehen sein.

Angst vor neuen Attentaten, auch in Deutschland, haben die Schüler weniger. „Das ist ja genau das, was der Täter erreichen wollte“, sagt Alex. Das dürfe man nicht zulassen. „Man darf sich von der Angst nicht verrückt machen lassen“, sagt auch Carolin. Auch wenn die Gesetze womöglich verschärft würden – an der Offenheit und Gelassenheit der norwegischen Gesellschaft werde sich dauerhaft nichts ändern. Davon sind die Schüler überzeugt, und das wünschen sie sich. Im nächsten Jahr wird es wieder einen Schüleraustausch mit Norwegen geben, neue Freundschaften werden entstehen, schöne Erlebnisse werden in Erinnerung bleiben.

Heike Kampe

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