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Verzweifelt. Die elf Jahre alten Drillinge von Jutta und Bringfried Pflug verstehen sich gut. Zwei der Jungs benötigen aber Unterstützung und eine Sprachtherapie. Die Stadt weigert sich beharrlich, die Kosten dafür zu übernehmen.

©  Andreas Klaer

Potsdam: Benötigte Sprachtherapie wird immer wieder abgelehnt

Jutta und Bringfried Pflug kämpfen seit Jahren für eine Sprachtherapie für zwei ihrer Drillingssöhne, die kaum noch in der Schule mitkommen. Doch die Stadt lehnt eine Kostenübernahme ab – wieder und wieder.

Von Katharina Wiechers

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Potsdam - Jutta und Bringfried Pflug wissen, dass man sie als pessimistisch bezeichnen könnte. „Manche sagen, das Glas ist halb voll, aber wir sagen, es ist halb leer“, sagt Bringfried Pflug. Doch sie bestehen auf ihrer Sichtweise, schließlich geht es hier nicht um irgendwas. Sondern um die Zukunft ihrer Söhne.

Drillinge waren es, die Jutta Bringfried vor elf Jahren zur Welt brachte: Leonhard, Konstantin und Jonathan. Dass Leonhard und Konstantin anders sind als Jonathan, war bald klar: nicht nur, dass sie im Gegensatz zum dritten Bruder eineiig waren, auch im Verhalten waren sie sich sehr ähnlich.

Zwei Söhne hatten eine Sprachentwicklungsverzögerung

Gleich war Leonhard und Konstantin auch eine sogenannte Sprachentwicklungsverzögerung, vermutlich ausgelöst durch ein zu kurzes Zungenbändchen bei beiden. „Sie konnten zum Beispiel D und T nicht aussprechen“, erinnert sich die Mutter. „Statt Jonathan sagten sie zum Beispiel Jonagan, oder Gasse statt Tasse.“

Schon während der Kita schickten die Eltern die beiden deshalb zum Logopäden und entschieden sich dazu, alle drei ein Jahr später in die Schule zu schicken. Die Familie, zu der auch die heute 15-jährige Tochter Katharina gehört, war mittlerweile aus ihrer kleinen Wohnung in ein Eigenheim im Bornstedter Feld gezogen.

Als die Drillinge schließlich an der Grundschule am Bornstedter Feld eingeschult wurden, beantragten Jutta und Bringfried Pflug eine sonderpädagogische Sprachförderung für Leonhard und Konstantin – die Jungs bekamen nun einige Stunden pro Woche eine Pädagogin an die Seite gestellt, die ihnen im Unterricht helfen sollte. Doch das reichte offenbar nicht: bei den Hausaufgaben merkten die Eltern, dass die Jungs keine Ahnung hatten, was von ihnen verlangt war. Und auch mit dem Lesen und Schreiben taten sie sich weiterhin sehr schwer, beim Sprechen verschluckten sie Buchstaben oder würfelten sie durcheinander. Aus Sicht der Eltern waren die Verbesserungen auch deshalb so gering, weil die Förderung in der Praxis aus Personalmangel oft gar nicht stattfand.

„Sie haben ständig Angst, etwas falsch zu machen“

Auch dass Leonhard und Konstantin die zweite Klasse wiederholten, verringerte den Abstand zu ihren Mitschülern im Bereich Sprache kaum – zum Frust der beiden Jungs. Immer häufiger weigerten sie sich jetzt morgens, in die Schule zu gehen, Hausaufgaben wollten sie gar nicht erst anfangen, mit dem Argument: Das können wir eh nicht. „Sie haben ständig Angst, etwas falsch zu machen“, sagt die Mutter.

Daraufhin beantragten Jutta und Bringfried Pflug – er Physiker beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, sie krankheitsbedingte Frührentnerin mit einem Mini-Job im Einsteinhaus in Caputh – eine Sprachtherapie, beziehungsweise die Kostenübernahme der Stadt für eine solche. Schließlich würde eine solche Therapie mehrere Hundert Euro pro Monat kosten, und bei einem Nachbarskind hatte dies auch die Stadt übernommen. Die Therapie sollte zusätzlich zur sonderpädagogischen Förderung während des Unterrichts am Nachmittag stattfinden.

Sorge, dass die Jungs ihren Schulabschluss nicht schaffen

Doch bei der Stadt lehnte man eine solche Kostenübernahme ab. Die Teilhabe der Jungen an der Gesellschaft sei durch ihre Sprachentwicklungsstörung nicht gefährdet, so das Argument. Die Pflugs gingen in Widerspruch – ohne Erfolg. Doch die beiden wollten nicht aufgeben. „Noch sind sie motivierbar“, so der Vater. „Doch je älter sie werden, desto mehr ziehen sie sich zurück, wenn sich nichts ändert.“ Er und seine Frau haben die Sorge, dass die Jungs keinen Schulabschluss schaffen, obwohl sie intelligent genug sind. Eben weil sie nicht ausreichend gefördert wurden.

Das bestätigte ihnen auch die Akademie für Psychotherapie und Interventionsforschung (API), bei denen sie mit Leonhard und Konstantin vorstellig wurden. Die beiden hätten eine Lese-Rechtschreibstörung und eine „expressive Sprachstörung“, bei ansonsten aber „durchschnittlicher nonverbaler Intelligenz“, attestierten die Experten. Festzustellen seien deshalb eine deutliche Schul–Unlust und Versagensängste, weshalb die Gefahr einer Schulverweigerung und der sozialen Isolation und letztlich sogar einer seelischen Behinderung drohe. „Zur Abwendung der Abwärtsspirale“ werde eine Lerntherapie empfohlen. Ähnlich fiel die Einschätzung der Mediziner am Sozialpädiatrischen Zentrum für chronisch kranke Kinder der Charité aus. Auch dort diagnostiziert man, dass sich die Werte für die Bereiche Prüfungsangst und Schul-Unlust im „klinisch auffälligen Bereich“ bewegten.

Mit diesen Schreiben starteten die Eltern Anfang dieses Jahres einen weiteren Anlauf und beantragten erneut eine Förderung bei der Stadt. Wieder lehnte das Amt ab. Die Lehrerin habe im Fragebogen angegeben, dass von Versagensängsten nichts zu spüren und die schulischen Leistungen durchschnittlich bis gut seien, hieß es nun. Eine Teilhabebeeinträchtigung sei nicht festzustellen, die Jungen verbrächten ihre Freizeit altersgerecht und besuchten Sportvereine oder die Robotik AG.

Für´s Engagement bestraft?

Für die Eltern war das ein Schlag ins Gesicht. In ihren Augen wurden sie nun für ihr Engagement bestraft – dass die Robotik AG zum Beispiel nur deshalb funktioniert, weil die Mutter von Anfang bis Ende mit dabei ist, wurde nicht berücksichtigt. Erneut gingen sie in Widerspruch, woraufhin die Stadt eine sogenannte Schulbeobachtung anordnete. Eine Sozialarbeiterin hospitierte im September dieses Jahres in der Deutschstunde und sollte beurteilen, wie die Situation wirklich ist. Auch sie stellte keine Teilhabebeeinträchtigung fest, Angst sei nicht zu erkennen. Der Stadt kam diese Einschätzung nur recht – sie lehnte den Widerspruch ab.

Die Pflugs sind verzweifelt. Aus ihrer Sicht wird die Leistung ihrer Söhne sowohl von der Schule als auch von der Stadt zu positiv dargestellt, mit der Konsequenz, dass ihnen eine angemessene Förderung verweigert wird. Gegen die erste Ablehnung ihres Antrags haben sie mittlerweile Klage beim Verwaltungsgericht Potsdam erhoben. Doch eine solche Entscheidung kann dauern – während die Kinder weiterhin auf die Therapie verzichten müssen. Bei der Stadt heißt es auf Nachfrage dazu, man könne sich zu Einzelfällen aus Datenschutzgründen nicht äußern. Für die Pflugs bleibt das Glas somit vorerst weiterhin halb leer.

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