Landeshauptstadt: Berauschte Architekten

Zu „Oft fehlt das richtige Maß“ vom 28. Februar 2015

Thomas Drachenberg hat als Denkmalschützer einen wunden Punkt angesprochen, in dem er unausgesprochen aufwarf, was denn die heutige Zeit in Zukunft hinterlasse. Es fällt mit Einschränkung sehr arm aus. Das liegt an den Architekten, die den Bogen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft künstlich auftrennen. Zu allen Zeiten war es architektonisches Selbstverständnis, aus vorherigen Bautraditionen zu schöpfen, an sie anzuknüpfen, und selbst völlige Neuentwürfe nahmen die Formensprache vorheriger Epochen auf. Die heutige, nachfolgende Zeit kann kaum Erhellenderes und wirklich Eigenständiges bieten, was originär auf die heutige Zeit rückverweisen würde. Ich sehe den Großteil der Architekten berauscht in ihren Möglichkeiten: Sie können nicht zu wenig, sie können zu viel. Das ist das entscheidende Problem: In Buenos Aires Gebäude für Shanghai entwerfen, in Nairobi für Chicago und in Stockholm für Berlin. Den Fuß zum ersten Mal auf das zu bebauende Gelände gesetzt, wenn es an die Grundsteinlegung geht, anstatt sich vorher den Wind um die Nase wehen zu lassen, mit den eigenen Füßen über die unebene Erde zu gehen. Die heutigen Architekten, pardon, zehren überwiegend zu Unrecht vom Ruhm ihrer Vorgänger-Generationen. Wären die Bäume nicht von Natur aus da, sondern es wäre Aufgabe der heutigen Architekten sie zu entwerfen, 90 Prozent der Stämme wären quadratisch und 90 Prozent der Blätter wären grau. Wer soll da mit offenem Mund und vielleicht mit feuchten Augen vor derlei Ergebnissen stehen, wo es doch allenfalls die Stirn ist, die sich kraus zieht?

Helmut Krüger, Potsdam