Landeshauptstadt: Bereit zum Loslassen
Die letzte Pfarrerswitwe muss das Predigerwitwenhaus verlassen. Die Kirche will sich von Potsdams ältestem Gebäude trennen
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Die letzte Pfarrerswitwe muss das Predigerwitwenhaus verlassen. Die Kirche will sich von Potsdams ältestem Gebäude trennen Von Guido Berg Auf der Breiten Straße geht es um Sekunden. Die Motoren heulen auf nach jedem Ampelgrün – als seien die Fahrer auf der Jagd nach der verlorenen Zeit. Wenige Meter weiter nur, hinter dicken soliden Mauern, gibt es einen Raum mit soviel Zeit darin, dass sich die Balken davon biegen. An der Wand hängen zwei Hausordnungen, eine ist anno 1697 mit Federkiel geschrieben worden, die andere 1956 zur leichteren Lektüre mit einer Schreibmaschine. Den Gemeinschaftsraum im Predigerwitwenhaus ziert auch eine kleine Galerie der ehemaligen Oberinnen. Es sind Bildnisse sanftmütiger älterer Frauen. Darunter ist auch eine Fotografie, die Christa Stubbe zeigt, die letzte Predigerwitwe in dem 1682 vom Kurfürsten Friedrich Wilhelm dem Großen gestifteten Witwenhaus. Als sie 1988 in der Breiten Straße Nr. 14 einzog, waren noch 20 Pfarrfrauen da, „alles war voll belegt“, erzählt die fast 80-Jährige: „Jetzt bin ich die Letzte.“ Wenn sie im Dezember Geburtstag feiert, wird sie nicht mehr Bewohnerin des Predigerwitwenhauses sein. Die Kirche will sich von dem Haus trennen. Sie hat die Bewohner – drei ältere Damen, von denen Christa Stubbe die einzige Pfarrerswitwe ist, und neun Studenten – aufgefordert, das älteste erhaltene Haus Potsdams zu verlassen. „Sie möchte sehen, dass wir woanders hinziehen“, sagt die Frau des 1985 verstorbenen Rolf Stubbe, Potsdamer Superintendent von 1968 bis 1975. Die asketisch fit wirkende geborene Freiburgerin wird der Aufforderung folgen und ins betreute Wohnen wechseln. „Wo ich mein ganzes Leben lang gehorcht habe“, sagt sie freundlich. Schon 1947 war das so, als sie ihrem frisch Vermählten folgte, der von Köln auf eine Pfarrstelle in die Uckermark versetzt wurde. Zwölf Mal ist sie seither umgezogen, immer dahin, wo die Kirche ihren Mann brauchte. „Sein Beruf war ein Großteil meines Lebens.“ Ein Leben, dass sie selbst als reich beschreibt und das sie so wieder führen wollte, hätte sie die Wahl. Christa Stubbe serviert Kaffee in ihren vier Wänden. Sie bewohnt eine der 20 eineinhalb Zimmerwohnungen, ihre hat sogar ein Bad, zu den meisten anderen gehören Gemeinschaftsbäder- und toiletten. Zu DDR-Zeiten war der Zuzug in eine Bezirkshauptstadt schwer, die kleinen Wohnungen waren begehrt. Nach 1989 änderte sich das, die Witwen erhielten mehr Rente, sie konnten sich bessere Wohnungen leisten. Seit der Wende ist keine Pfarrfrau mehr eingezogen. Die letzte Oberin des Hauses liest Passagen aus einem abgewetzten Buch vor, dass man nicht in die Hand nimmt, ohne sich vorher automatisch die Hände an der Hose abzuwischen. Der erste Eintrag stammt von 1682, am 2.September sei auf allergnädigsten Befehl des Großen Kurfürsten die erste Witwe mit ihren Kindern eingezogen, die 40-jährige Anna Maria Gondala, Frau des verstorbenen Glasermeisters George Gondala aus Drewitz. „Hier stehen auch wir drin, die wir hier wohnen“, sagt die achtfache Groß- und vierfache Urgroßmutter. Dann findet sie einen Eintrag vom Mai 1989, den sie selbst vorgenommen hat. Er vermerkt den Einzug von Christine Peisker als Nummer 424. Die Homepage der Stadt Potsdam vermerkt, das Predigerwitwenhaus sei wegen seiner „ins Jahr 1674 zurückgehenden Grundmauern“ das älteste Gebäude Potsdams. Christa Stubbes Oberinnen-Buch deutet auf eine noch weiter in die Vergangenheit reichende Vorgeschichte hin. Ein Eintrag informiert, das Haus sei zwischen 1540 und 1545 als „Lustschloss“ des Kurfürsten Joachim II. errichtet worden. „Als Lustschloss habe es aber nie erlebt“, bemerkt die Witwenhaus-Bewohnerin. Sicher ist, dass das Haus in den Jahren 1826 und 1827 unter der Anleitung von Karl Friedrich Schinkel umgebaut und erweitert wurde. Christa Stubbe blickt zurück auf die Potsdamer Jahre an der Seite ihres Mannes. 1968 erlebte sie den letzten Gottesdienst in der Garnisonkirche, schräg gegenüber vom Predigerwitwenhaus, auf der anderen Straßenseite. Zu dessen 300. Jubiläum 1974 konnte ihr Mann „mit freudiger Erregung“ mitteilen, dass die DDR-Oberen wenigstens dieses Haus stehen lassen wollen. Nun also soll sie ausziehen. Sie gesteht, „das Weggehen fällt mir nicht leicht“ und sagt: „Wenn es mir leicht fallen würde, wären die Jahre hier auch nichts wert gewesen“. Sie versteht die Position der Kirche, die Sanierung des Gebäudedenkmals würde Millionen kosten, Geld, dass die Kirche, die selbst Kirchen verkauft, nicht habe. Wenn über sie geschrieben werde, dann solle nicht unerwähnt bleiben, „dass wir nur Gäste sind auf Erden, ein anderer ist der Gastgeber“ und dass man „bereit sein muss zum Loslassen“. Das könne man aber nur, wenn man weiß, „dass man gehalten wird“.
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