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Landeshauptstadt: Beschwörung mit Klassik

Wie wird aus einer Klasse ein Orchester? Die Kammerakademie Potsdam schickt für ihre „Klassenzimmerkonzerte“ Profimusiker in die Schule

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Zur Einstimmung gibt es für die Kleinen keine leichte Kost: Die Violinistin der Kammerakademie Isabel Stegner und Birgit Zemlicka-Holthaus an der Oboe spielen das erste Duett aus Sei Duetti, opus 2 von Johann Joachim Quantz, dem Flötenlehrer Friedrich II. Sechs-bis Achtjährige der Rosa-Luxemburg-Grundschule sitzen im Stuhlkreis um sie herum. Kein Zappeln, kein Rascheln, die Kinder sind still und hören morgens um zehn Klassik vom Feinsten in ihrem Klassenzimmer.

„Als Konzertmusiker bringen wir eine gewisse Autorität mit“, erzählt Isabel Stegner nach dem Workshop. Gleich zu Beginn der anderthalb Stunden könnten die Kinder am besten aufnehmen, was sie zuvor nie gehört haben. „Wir verbinden uns mit unserem Instrument auf hohem Niveau“, sagt Stegner, „Das ist das, was die Kinder immer wieder fasziniert.“

Das Format des Klassenzimmerkonzerts wird vielerorts an Schulen praktiziert – ob mit Pop oder Klassik. Immer sind es nicht die Lehrer, sondern die Musiker, die die Workshops oder Unterrichtsstunden gestalten, Instrumente vorstellen und die Kinder selbst zu Musikern werden lassen. Die Kammerakademie bietet das auch für Potsdam und das Umland an. Es ist für das renommierte Kammerorchester ein Baustein in ihrem Gebäude der musikalischen Bildung – neben Konzertbesuchen im Nikolaisaal oder Orchesterproben in Drewitz.

Da an der Rosa-Luxemburg-Schule gerade „Projektwoche Afrika“ ist, will Stegner mit den Kindern musikalisch nach Ägypten reisen: Über die Türkei und Mozarts „Entführung aus dem Serail“ bis hin zu Schlangenbeschwörern am Nil mit einem Stück des ungarisch-amerikanischen Komponisten Antal Doráti.

Stegner schnallt sich Schellen um die Füße und ersetzt damit das Schlagzeug in Mozarts türkischer Oper. Gleichzeitig spielt sie Violine und Schellen. Die Kinder lassen unter dem Stuhl ihre Schlappen fallen und wippen mit, manche klöppeln mit den Fingern. „Ganz oft muss ich erklären, was das für ein Instrument ist“, stellt Birgit Zemlicka-Holthaus anschließend ihre Oboe vor. Auch in der Klasse erkennt es nur eine Schülerin. Ach ja, die Ente aus „Peter und der Wolf“.

Dann öffnet die Oboistin für die Kinder ihre „persönliche Schatztruhe“ – ein Kästchen mit etwa zwanzig verschiedenen Doppelrohrblättern – das Teil, um den Ton auf dem Instrument zu erzeugen. Was technisch klingt, wird spielerisch vermittelt, genauso wie der Unterschied zwischen Oboe und Schalmei. Oboistin und Violinisten spielen zusammen Dorátis Wiegenlied, in der Oboe steckt eine grüne Plüschschlange als Dämpfer. Wieder sind die Schüler mucksmäuschenstill. Spätestens jetzt wird klar, dass die beiden von der Kammerakademie mit ihrer Musik die Kleinen beschwören können.

„Die Kinder sind hier zu Hause“, sagt Lehrerin Kerstin Niemeyer. Es sei etwas anderes, wenn die Musiker in die Klasse kommen – nicht wie bei einem Konzert im Nikolaisaal, wo allein der Raum Aufregung genug für die Kinder ist. Und sie selbst könne Musik auf diesem hohen Niveau nicht vermitteln.

Die Schüler basteln derweil im Nebenraum ihre eigenen Instrumente. Am Ende des anderthalbstündigen Workshops sollen sie damit selbst als Orchestermusiker spielen. Ein Stück Strohhalm eingeschnitten dient als Doppelrohrblatt, auf ein Metallrohr befestigt ist daraus eine einfache Schalmei entstanden. Andere nageln Kronkorken auf ein Holzstück und basteln sich so Schellen. Yunus ist schon fertig mit seiner Schalmei.

Er übt, der Ton ist nicht da, er übt weiter, bläst seine Wangen auf, verändert um Millimeter den Ansatz – einen Lehrer braucht er dafür nicht – bis es aus seiner Instrument knarzt und trötet. Er sitzt im Schneidersitz auf dem Boden, andere Kinder tun es ihm gleich. Yunus beschwört sein Instrument, ist eins geworden mit ihm – und will sogleich noch mehr davon: „Ich kauf’ mir Knete im Bastelladen“, sagt er, „und im Baumarkt ein paar Rohre. Strohhalme hab ich zu Hause.“

Letztlich ist es genau das, was die Musiker erreichen wollen: Die Beschäftigung mit einem Musikinstrument – und die Erfahrung, dass dieses Spiel anders ist als das mit einem i-Phone. Zum Abschluss des Programms spielen alle Kinder auf ihren selbstgebauten Instrumenten. Es trötet und schellt – manchmal sogar genau so, wie Stegner es dirigiert. „Das hat sehr gut funktioniert“, wird sie danach zu den Schülern sagen. Sie und ihre Kollegin haben ein Klassenorchester geschaffen – und jedem einzelnen im besten Fall ein Tor zur Klassik geöffnet.

nbsp;Grit Weirauch

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