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Flüchtlinge in Potsdam: Betreuung im Stundentakt

Die Stadt Potsdam schreibt die Beratung von Flüchtlingen neu aus. Doch an dem Vorgehen gibt es Kritik.

Stand:

Die langjährige Beratung der in einer Wohnung lebenden Flüchtlinge durch das Potsdamer Diakonische Werk könnte zum 1.1.2016 beendet sein. Die Stadt hat die Arbeit der Beratungsstelle neu ausgeschrieben und verschiedene „Vereine, Unternehmen und Sozialträger“ aufgefordert, sich zu bewerben. Die Diakonie, die in Potsdam derzeit rund 300 Flüchtlinge in Wohnungen berät, habe sich auch beworben, heißt es aus der Einrichtung, die der Hoffbauer-Stiftung untersteht. Weitere Bewerbungen liegen im Rathaus auf dem Tisch, wie die PNN erfuhr.

Die Neuausschreibung begründet die Stadt damit, dass der bisherige Vertrag nicht mehr den „aktuellen qualitativen und quantitativen Anforderungen“ entsprochen habe. Zukünftig wird die Beratungsarbeit nicht mehr pauschal vergüten, sondern mit dem Träger die „tatsächlich geleistete Arbeit mit den Flüchtlingen“ nach sogenannten Fachleistungsstunden abgerechnet, sagt Stadtsprecher Jan Brunzlow auf Anfrage.

Flüchtlinge und Asylbewerber sollen in Potsdam möglichst schnell in eigenen Wohnungen untergebracht werden. Dafür sollen im kommenden Jahr mindestens 300 Wohnungen angemietet werden. Im ersten halben Jahr nach ihrem Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft hätten die Flüchtlinge „einen erhöhten Bedarf“ und sollten stundenweise in der eigenen Wohnung betreut werden, so Brunzlow. Anschließend sei dies in der Regel nicht mehr so umfangreich nötig. Sollte dies anders sein, werde im Einzelfall entschieden. Die Anforderungen bei der Beratung und Betreuung der Flüchtlinge würden nun in einem Leistungsverzeichnis dargestellt. „Dieses stellt keine Verschlechterung zur bisherigen Situation dar, sondern eine Änderung“, so Brunzlow. Außerdem hätten sie wie bisher die Möglichkeit, die Sprechstunden der Beratungsstelle aufzusuchen.

Dass damit die Arbeit einer Einrichtung beendet sein könnte, die seit fast 15 Jahren in der Flüchtlingsberatung tätig ist, kritisiert Lutz Boede von der Fraktion Die Andere: „Bisher hat das Diakonische Werk eine super Arbeit bei der Betreuung und Beratung von Flüchtlingen in Wohnungen geleistet. Es handelt sich um den einzigen freien Träger, der Erfahrung auf diesem Gebiet mitbringt.“ In anderen Fällen habe die Stadt ohne Ausschreibung entschieden – etwa bei der Anfang des Jahres von der Arbeiterwohlfahrt wieder eröffneten Flüchtlingsunterkunft am Lerchensteig. „Warum geht das nicht auch hier? Wir sind nicht in einer Situation, wo wir in Ruhe die Flüchtlingsberatung neu sortieren können“, sagt Boede. Auch andere Kritiker, die nicht genannt werden wollen, bezweifeln, ob eine nach Stunden berechnete Betreuung der teilweise traumatisierten Flüchtlinge überhaupt ausreichend ist – und dies noch von Trägern wie etwa der Diakonie sinnvoll geleistet werden kann.

Hintergrund ist ein mehr als zweijähriges Tauziehen zwischen Stadt und Diakonie um eine vertragliche Erneuerung und eine erste, nicht beendete Ausschreibung. Um mögliche Veränderungen durch das geplante neue Landesaufnahmegesetz zu berücksichtigen, sei mit der Diakonie ein bis Ende 2015 geltender Interimsvertrag abgeschlossen worden, heißt es von der Stadt. Obwohl das neue Gesetz nun später als geplant erst im April 2016 vorliegen soll, könne diese Vertragsart „nicht verlängert werden und verpflichtet die Stadt, in dem verbliebenen Zeitraum neu auszuschreiben“, so Brunzlow.

Lutz Boede wirft der Stadt indes intransparentes Verhalten vor. Der Migrantenbeirat habe die Flüchtlingsberatung in der vergangene Woche auf seiner Tagesordnung gehabt und einen städtischen Mitarbeiter dazu befragen wollen. „Anders als beim letzten Ausschreibungsverfahren durften wir dieses Mal den Text nicht sehen – mit der Begründung, es handle sich um ein laufendes Verfahren“, kritisiert er. Anders als zugesagt habe der Migrantenbeirat auch nicht an der Formulierung mitarbeiten dürfen. „Normalerweise stimmen wir Ausschreibungen nicht mit Mitgliedern der Stadtverordnetenversammlung ab“, sagt Stadtsprecher Brunzlow. Im aktuell laufenden Verfahren habe es „von vielen Trägern zahlreiche Nachfragen“ gegeben. Diese seien direkt mit der Stadt inhaltlich besprochen worden und „nicht, wie geschehen, öffentlich im Migrantenbeirat“.

Die freien Träger sollten bei der Bewerbung ein Konzept vorlegen, über das eine Jury entscheiden wird. Wer Teil dieses Gremiums ist, werde erst nach der Entscheidung bekannt gegeben, hieß es vonseiten der Verwaltung. Die Stadtverordnetenversammlung hatte am 9. September beschlossen, in den kommenden zwei Jahren 31 neue, auf jeweils zwei Jahre befristete Stellen zu schaffen. Die Stadt will damit „über die bloße Leistungsgewährung hinaus“ eine individuelle Beratung zur Unterstützung und besseren Integration anbieten. I. Fannrich-Lautenschläger

Isabel Fannrich-Lautenschläger

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