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Von Susanna Maier: Betteln um einen Platz

Volle Hörsäle und der Bachelor machen auch an der Potsdamer Uni vielen Studierenden zu schaffen

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Eine gestohlene Anwesenheitsliste, Gedrängel um Seminarplätze, Massenwanderungen zu den Hörsälen – solche Berichte von Studierenden geben nur einen kleinen Einblick in den Alltag an der Universität Potsdam. Die meisten Studierenden wissen nicht einmal, dass ihre Universität kürzlich für exzellente Lehre ausgezeichnet wurde. „Durch die äußeren Umstände wird gute Lehre verhindert“, so Julia, Bachelor-Studentin im Fach Germanistik. Sie berichtet von einer Protestaktion eines Studierenden, der unlängst eine Anwesenheitsliste versteckt habe, um sich gegen die Anwesenheitspflicht im Bachelor-Studium zu wehren. Die Aktion spaltete die Kursteilnehmer, während manche sich solidarisierten, hätten sich andere einfach nur darüber geärgert. „Man hat einfach nicht mehr die Kraft, ständig für seine Rechte zu kämpfen“, betont sie.

Manche Studierende geben sich inzwischen lieber geschlagen, als auf einen Platz in der Vorlesung zu bestehen. „Manchmal muss man richtig betteln, das ist so erniedrigend“, berichtet Sebastian, ein BWL-Student. Im Kurs würde man dann mit einem schlechten Bauchgefühl sitzen, weil man Angst habe, nicht zugelassen zu werden, sagt er. „Außerdem fühlt man sich irgendwie überflüssig“, sagt er. Die Sprecherin des Allgemeinen Studierenden Ausschusses (AStA), Mandy Joachim, berichtet, dass der Seminarrauswurf in diesem Semester besonders häufig vorkomme. „Wir brauchen dringend mehr Dozenten“, sagt sie. Aufgrund dieser Umstände sei es unverantwortlich, dass sich die Universität lieber auf die Ausbildung von Eliten konzentriere, als sich um die Ausbildung der breiten Masse zu kümmern, sagt Joachim. Besonders ungerecht sei es für die Dozenten, die sich wirklich Mühe geben, und trotzdem unter solchen Umständen lehren müssen, so die Germanistik-Studentin.

Noch ärgerlicher sind für den BWL-Studierenden Sebastian die umständlichen Anmeldeverfahren zu den Kursen, selbst nach längerem Studium sei das immer noch verwirrend, erklärt er. Studierende müssen sich für Kurse oft nicht nur im Potsdamer Universitätslehr- und Studienorganisationsportal (PULS) anmelden, sondern auch auf der E-Learning Plattform Moodle. Zusätzlich müsse man sich manchmal beim Lehrstuhl direkt in einen Kurs eintragen. Ist das erst einmal geschafft, müsse man sich in manchen Vorlesungen noch zusätzlich zur Klausur eintragen. „Das ist doch völlig übertrieben“, sagt Sebastian. Inzwischen habe er den Überblick über seine vielen Passwörter verloren, ergänzt er. „Eigentlich ist man nur noch eine Matrikel-Nummer“, so Sebastian.

Warum nicht einfach ein einheitliches System für alle Fächer eingeführt werde, kann der BWL-Student nicht verstehen. Es gebe nämlich auch Fächer, in denen weniger kompliziert gearbeitet werde, in Geschichte oder Soziologie reiche eine einmalige Anmeldung nämlich schon aus, erklärt Sebastian. „Ich dachte der Bachelor-Abschluss sollte für mehr Einheitlichkeit sorgen“, fügt er hinzu. Von der fehlenden Einheitlichkeit an der Universität berichtet auch die Germanistik-Studentin Julia. „Man kriegt von verschiedenen Einrichtungen unterschiedliche Informationen“, sagt sie. Bei vielen Fragen könne man nicht einmal eine Antwort in der eigenen Studienordnung finden. Deshalb müsse man immer zittern, ob man auch keinen Fehler bei der Anmeldung zur Prüfung gemacht hat. Ein sicheres Gefühl hat sie deshalb kaum. „So sollte es nicht sein, und trotzdem akzeptiert man es“, sagt sie.

Radikal für die eigenen Rechte einstehen, bedeutet für Julia zu viel Risiko. Im Studium gebe es ohnehin schon so viele Unsicherheiten. „Ich frage mich aber, ob so ein Studium aussehen sollte“, fügt sie hinzu. Zum ersten Mal läuft in diesem Semester auch die Germanistik über PULS, berichtet AStA-Sprecherin Joachim. Dadurch müssten sich die Dozenten erst einmal an das neue System gewöhnen, sagt sie. So befinden sich die Studenten oft in der Schwebe, vorerst nicht zugelassen, aber vielleicht doch nach einiger Zeit, wenn man Glück hat. „Wir brauchen jedoch dringend Alternativen“, betont sie.

Für den Missstand an der Universität gebe es nur eine Lösung, die finanziellen Mittel müssten dringend erhöht werden, sagt der Politik-Student Thomas. Auf 300 Studierende kommt manchmal nur ein zuständiger Professor, dass sei einfach nicht mehr tragbar. „Mittlerweile sitzt man sogar im neuen Gebäude in Griebnitzsee auf der Treppe“, sagt er. „Wie soll man sich da noch konzentrieren?“, fügt er hinzu. Nach der Vorlesung werde man dann noch mit einer langen Schlange in der Mensa konfrontiert, erzählt er. Der Politik-Student ist sich nicht sicher, wie er auf den turbulenten Uni-Alltag reagieren soll. Wütend sei er schon lange nicht mehr, nur noch resigniert und enttäuscht. Sich durch die Studentenmassen hindurch zu quälen ist für ihn fast schon normal geworden.

Dass viele Studierende sich mit den Umständen letztendlich einfach abfinden, ist der AStA-Sprecherin Joachim bewusst. Besonders sehr junge Studierende, die gerade aus der Schule kommen, würden sich einfach dem System fügen. Zudem bekomme der AStA täglich Mails mit den Ängsten und Sorgen der Studierenden. „Studierende sollten doch keine Existenzangst haben müssen“, meint die Studentin. Dennoch hofft sie, dass Studierende irgendwann wieder die Möglichkeit erhalten, sich im Studium frei zu entfalten. Dafür zumindest kämpfen zurzeit die Studierenden, die seit zwei Wochen das Audimax besetzt halten.

Susanna Maier

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