Landeshauptstadt: Bibers Spuren im Schnee Wildnis in der Stadt: Europas größtes Nagetier besucht nachts die Freundschaftsinsel – und fühlt sich in Potsdam immer wohler
Als Thoralf Götsch am Mittwochmorgen die Freundschaftsinsel betrat, traute er seinen Augen nicht: frische Schleifspuren im Schnee! Abgebissene Weidenäste waren über Wiesen hinweg geschleift worden und offenbar im Wasser der Alten Fahrt verschwunden.
Stand:
Als Thoralf Götsch am Mittwochmorgen die Freundschaftsinsel betrat, traute er seinen Augen nicht: frische Schleifspuren im Schnee! Abgebissene Weidenäste waren über Wiesen hinweg geschleift worden und offenbar im Wasser der Alten Fahrt verschwunden. Der Gärtner weiß, wer sich da in der Nacht auf seinem Terrain zu schaffen gemacht hat: Es waren Biber. Nach 150-jähriger Abwesenheit kehrt Castor fiber, das größte Nagetier Europas, zurück in die Potsdamer Innenstadt. „Wir finden das schon gut und sind ein bisschen stolz“, erklärt Gärtner Götsch: „Wildnis ist eine tolle Sache.“
Freilich ist der Einbruch der Wildnis in die von Karl Foerster und Hermann Mattern angelegte Kulturlandschaft nicht völlig problemlos. Die bis zu 30 Kilogramm schwer werdenden Europäischen Biber suchen im Winter die Freundschaftsinsel zur Futtersuche auf. Dabei werden nicht nur ufernahe Weidenbüsche angenagt, sondern gern auch neu gepflanzte Bäume. „Das kostet Geld“, sagt Götsch. Die Freundschaftsinsel sei ein Gartendenkmal und müsse geschützt werden. Götsch weiß auch wie: Mit Schilfmatten und Karnickeldraht lasse sich die Rinde von Bäumen schützen.
Götsch hat es nicht zum ersten Mal mit Bibern zu tun. Schon seit einigen Jahre haben sie sich die Tiere in der Nuthe angesiedelt, Götsch kennt die dortige „Biberburg im Schlaatz“. Vis-à-vis des Plattenbaugebiets haben die Nager in die Nutheböschung ihr Domizil gegraben. Doch nun breiteten sich deren „Aktions- und Fraßradien aus“ und immer häufiger sei auch die Freundschaftsinsel betroffen. Dennoch: Bei allen Fraßschäden, der Gärtner bleibt bei seiner Einschätzung: „Es ist eine wunderbare Entwicklung, faszinierend!“ Bei Führungen über die Insel zeige er den Besucher gern die Spuren der nachtaktiven Tiere – und diese seien immer völlig überrascht, inmitten einer Landeshauptstadt frische Nagespuren des tierischen Holzfällers zu sehen. Daher sagt Götsch gern: „Der Biber hat hier seinen Platz.“
Der Gärtner der Freundschaftsinsel ist bei seinem Umgang mit den nächtlichen, bis auf die Zähne bewaffneten Inselhoppern nicht allein. Er lässt sich von Burghard Sell beraten, seit Jahren ehrenamtlicher Biber-Experte des Naturschutzbundes (Nabu). Der 56-Jährige konnte im Jahr 2007 erstmals seit 150 Jahren Biber im Potsdamer Stadtgebiet beobachten. Den Pionieren ihrer Art stand noch die gesamte Nuthe zur Verfügung. Doch Ende 2011 mussten sich die Tiere den Claim teilen. Es trennte sich ein weiteres Revier ab, das von der Friedrich-Engels-Straße bis zur Nuthemündung reicht, ein 800 Meter langes Nuthestück. Ob es sich dabei um den Nachwuchs der ersten Generation oder um weitere Einwanderer handelt, vermag Sell nicht zu sagen: „Sie reißen sich die Ohrenmarken immer raus.“ Daher ließen sich die einzelnen Exemplare nicht voneinander unterscheiden.
Längst ist Castor fiber in Potsdam nicht mehr auf die Nuthe begrenzt. Acht Reviere kennt Sell, Biber fänden sich mittlerweile im Sacrow-Paretzer-Kanal, an der Wublitz, am Zernsee und am Tiefen See mit Auswirkungen für den Babelsberger Park. Erst Mitte November hat der Nabu-Mann festgestellt, dass Biber im Strandbad Babelsberg einen kompletten Baum gefällt haben – direkt neben dem Badesteg „am Rand des Sandstrandes“. Häufiger beobachtet Sell, dass die Tiere in Vorbereitung auf den Winter sogenannte „Nahrungsflöße“ bauen. Die Biber sammeln die für sie offenbar sehr schmackhaften, weil weichen Weidenäste und schichten sie übereinander. Ganz oben kommen dann Erlenäste drauf, wie Sell berichtet. Die Erlen saugen sich voll Wasser, werden schwer und drücken die Weide unter Wasser. Bildet sich eine Eisschicht, wird das Floß zusätzlich stabilisiert. Mit ihren Tauchgängen unter dem Eis erreichen die Tiere die von ihnen oft direkt vor ihrer Burg angelegten Futterflöße. Sell spricht beeindruckt von einem „Kühlschrank direkt vor der Nase“.
Letzte Neuigkeit in Sachen Biber ist die Feststellung seines Vorkommens im Heiligen See. Biberexperte Sell klingelte folglich an den Türen der Villen mit Seegrundstück und klärte die Bewohner über die neuen Gäste in ihren Gärten auf. „Das sind mediengewaltige Leute“, begründet Sell sein Handeln, „wenn die Zeter und Mordio schreien“, weil ein Baum angenagt ist, „hab ich verloren“. Denn Sells Botschaft ist: Die Biberpopulation wird sich von selbst regulieren, wenn die Reviere immer kleiner werden. Und mit geringen Mitteln lasse sich Baumfraß verhindert, wie Gärtner Götsch von der Freundschaftsinsel beweist.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: