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Landeshauptstadt: Billiger als Bowling

Auf Potsdams einzigem Golfplatz am Bornstedter Feld gibt es den Abschlag schon ab einem Euro und niemand muss mit dem Ferrari kommen. Hier spielt „Professor Dr. wichtig“ gleichrangig neben dem Hartz-IV-Empfänger

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Andi Külzer ist total verrückt. Das sagen jedenfalls die Leute über ihn, wenn sie hören, dass sein Golfplatz nicht auf einer Wiese liegt – sondern auf zehn Millionen Euro teurem Bauland. Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate vor Baubeginn. Über dem Mittvierziger mit dem spitzbübischem Charme schwebt also das Damokles-Schwert der Baukonjunktur, auch während er sich jetzt zum Beispiel mit dem Eisen lässig einen Ball aus dem Korb fischt. Es ist Mittwochabend, 18 Uhr. Der Verein Golf in Potsdam e.V. absolviert auf Potsdams einzigem Golfplatz am Bornstedter Feld seine wöchentliche Übungsstunde und Andi Külzer demonstriert die richtige Schlaghaltung. Ästhetisches Ziel eines jeden deutschen Golfers ist es, nach dem Abschlag so genial-grazil dazustehen wie Bernhard Langer. Beide Arme halten den Schläger über der linken Schulter, der Blick hebt sich erst eine Sekunde nach dem Schlag mit Würde vom Grün und folgt auf Horizonthöhe dem Flug des Balles. Und ganz wichtig: Der rechte Fuß ist eingedreht und berührt nur mit der Spitze den Boden.

Bernhard Langer ist der Boris Becker des Golfsports. Nach Beckers Wimbledon-Sieg hatte fast jeder hierzulande schon einmal einen Tennisschläger in der Hand. Seit Langers internationaler Karriere fasziniert auch Golf die Massen. Doch Külzer kämpft noch gegen das alte Image, hartnäckig gilt Golf vielen immer noch als Elitensport, als Sport für Reiche. Für die ein oder andere Range mag dies auch gelten, nicht jedoch für Külzers Bauland am Bornstedter Feld. Niemand kann Külzers Idee vom Golf für alle besser ausdrücken als seine Frau Steffi.

Steffi Külzer sieht mit ihrem gelben Sonnenschutz-Cap ein Tick zu nobel aus, um sofort als Golf-Revolutionärin durchzugehen. Doch kaum angesprochen, schlägt sie verbal umgehend ein Ass fürs Volk: „Ob du mit dem Fahrrad oder dem Ferrari kommst, hier bist du nur Golfer“, stellt sie klar. Zudem: „Hier spielt ,Professor Dr. wichtig’ neben dem Hartz-IV- Empfänger – und zwar gleichrangig.“ Und noch einen: „Bei uns ist Golf billiger als Bowling.“ Die Reputation als snobistischer Oberschichten-Sport mit strenger Etikette erwarb sich das Spiel in den alten englischen Golfclubs, vermutet Steffi Külzer. Da habe am Eingang noch „No dogs/No women“ gestanden. „In dieser Reihenfolge.“

Külzers nehmen für einen Leihschläger einen Euro. 20 Bälle kosten auch einen Euro. „Wer seinen eigenen Schläger mitbringt, kann ab einem Euro schon Golf spielen.“ Allerdings erbringt ein Selbstversuch den Beweis, dass selbst ein Ahnungsloser mit einem Handicap von minus unendlich für 20 Bälle keine zehn Minuten braucht, um sie ins Grün zu hämmern. Selbst wenn einige Schläge sauber daneben gehen und der Golfball unberührt auf dem Tee liegen bleibt. Das Tee ist der kleine Gummistummel, auf den der Ball vor dem ersten Abschlag gelegt wird, um ihn besonders gut zu treffen – oder eben doch nicht. Aber den Fehlschlägen zum Trotz springt das Virus schnell über. Andi Külzer selbst ist seit 35 Jahren im Golf-Fieber. Während der Schnupperstunde animiert er gern „einfach ’mal ein paar Bälle zu schlagen“, mal sagt er auch, „versohl’ dem Ball den Hintern“ – für ihn scheint eine Immunität gegen die Faszination Golf nicht vorstellbar. Er ist ein brennender Agitator für den Golfsport, eine Profi-Karriere aber, wie die Bernhard Langers, des ersten deutschen Weltranglisten-Ersten, verwehrten ihm einst die Eltern. Er sollte gefälligst Abitur machen und studieren. Doch der gutgemeinte Rat hilft nicht, Andreas Külzer bricht später sein Betriebswirtschaftslehre-Studium zugunsten seines Traumsports ab.

Ein Diplom hat er mittlerweile trotzdem, natürlich ist er Dipl.-Golflehrer. Und Dozent obendrein, an der Universität Potsdam, Fachbereich Sportwissenschaften. Bei ihm legen die Studenten die Fachprüfung Golf ab. An der Karl-Foerster-Grundschule leitet er die Arbeitsgemeinschaft Golf. Golf ist eben sein Leben. Und seine Frau Steffi teilt es mit ihm. „Mein Mann ist mein Handicap“, sagt die gelernte Hutmacherin schmunzelnd. Sie gibt sich „als der graue Schatten hinter meinem Mann“ und macht die Buchführung im Potsdamer Golfzentrum. Dennoch bewahrt sie sich den ironischen Abstand: „Churchill hat gesagt, Golf ist die beste Art, sich einen Spaziergang zu versauen.“

Zu den 180 Vereinsmitgliedern, die am Mittwochabend für 60 Euro jährliche Mitgliedsgebühren im Verein „dem Ball den Hintern versohlen“, gehört Dietrich Zöll, ein „Ur-Bornstedter“, wie er sagt. Külzers Range war schon früher seine Spielwiese. Als Junge schlich er sich auf das damalige Militärgelände, um nach Munition zu suchen, verrät er. Nun ist er 69 Jahre alt und will „nicht einrosten“. Es sei preiswert, bei Külzers den Ball zu schlagen, bei ihm komme man auch billig zu Schlägern und Golfschuhen. Zöll, ein pensionierter Gastwirt, schwingt sein Eisen kräftig durch, der Ball hebt ab und bohrt sich erst weit jenseits der 100-Meter-Marke in den Rasen. „Na, da ist der Mittwoch doch gerettet“, lobt Külzer. Vielleicht sind es ja diese zwei, drei Sekunden, die den Reiz ausmachen. Der Schläger verharrt noch mit beiden Händen umklammert über der linken Schulter, der Fuß ist eingedreht, nur die Spitze berührt den Boden. Der Blick hebt sich langsam über den Horizont, und dort, dieser kleine Punkt, ist der Ball und er fliegt und fliegt und fliegt

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