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Landeshauptstadt: Bis hin zur Insolvenz

Potsdamer Handwerksunternehmen leiden unter schlechter Zahlungsmoral / Auch Stadt zahlt häufig unpünktlich

Stand:

Die Handsäge muss warten und auch der neue Staubsauger ist im Moment nicht drin. Dabei könnte Heinrich Bauer* sich die Arbeitsgeräte leisten. Der Potsdamer Tischler hat genügend Aufträge – nur zahlt die Hälfte seiner Auftraggeber zu spät und teilweise auch gar nicht. 3000 Euro stehen allein für seine letzten drei Arbeitseinsätze aus – viel Geld für den kleinen Ein-Mann-Betrieb.

Nicht zahlende Kunden seien „ein brennendes Problem“ für die Handwerksunternehmen, erklärt Matthias John, Obermeister der Potsdamer Tischlerei-Innung. Denn die Kosten der Betriebe laufen weiter. Die Lieferanten wollen Geld für die Materialien sehen und auch „das Finanzamt lässt nicht mit sich reden“, so John. Denn die Umsatzsteuer werde fällig, sobald die Rechnung geschrieben ist. Vor allem aber müssten die Unternehmen ihr Personal und Sozialversicherungen bezahlen. Nicht selten sei darum „Personalabbau“ eine Konsequenz der schlechten Zahlungsmoral. „Wenn das Geld nicht rein kommt, können wir die Kollegen nicht halten“, meint auch der Obermeister der Maler-Innung, Dietwald Schulz. Das sei eine „Spirale“, die ebenfalls die Subunternehmer betrifft, so John.

Auch Bauers Schuldner sind größere Tischlereien, die ihn meist für Montagearbeiten anheuern. Bauer rechnet nicht mehr damit, das Geld zu erhalten. Zwar wolle einer der Auftraggeber nun in Raten zahlen, aber ein anderer hätte ihm bereits gesagt: „Da musste klagen, ich habe selbst nichts.“ Und das sei eben das Dilemma: Bauers Auftraggeber laufen dem eigenen Geld hinterher, denn auch ihre Auftraggeber zahlen nicht. Die Folge: Liquiditätsprobleme bis hin zur Insolvenz.

In den vergangenen zehn Jahren hätten acht von einst rund 50 Potsdamer Tischlereien schließen müssen, weil Kunden ihre Rechnungen nicht rechtzeitig gezahlt hatten, so John. Betroffen sind aber nicht nur die Tischlereibetriebe. 85 Prozent der letzten 50 Unternehmen, die der Insolvenzanwalt am Potsdamer Amtsgericht, Justus Schneidewind, in die Insolvenz begleitet hat, seien durch offene Rechnungen pleite gegangen – darunter auch viele Baufirmen. „Die schlechte Zahlungsmoral der Kunden ist nach wie vor Thema“, so Ute Maciejok von der Handwerkskammer (HWK) Potsdam. Innerhalb der letzten fünf Jahre habe sich die Situation sogar verschlechtert. Deshalb habe die HWK eine eigene Inkassostelle eingerichtet. Allein im vergangenen Jahr gingen dort 615 Aufträge von Betrieben des Kammerbezirks ein. Insgesamt 1,25 Millionen Euro Außenstand sollten die HWK-Mitarbeiter 2005 eintreiben. „Das ist nur die Spitze des Eisbergs“, so Maciejok. Die „ganz fetten Brocken“ gingen gleich an Anwälte. Einige Auftraggeber schulden den Handwerkern 100 000 Euro und mehr.

John schätzt den Anteil der Kunden seiner Branche, die Rechnungen unpünktlich begleichen, auf rund 20 Prozent. Von rund einem Drittel geht Malermeister Schulz aus. Privat- , Gewerbekunden und öffentliche Auftraggeber zahlten dabei ungefähr gleich schlecht. So zögerten auch die Landesinstitutionen die Zahlungen meist länger hinaus, so John. Und laut Schulz lässt die Stadt die Potsdamer Handwerker oft bis zu 12 Wochen warten – „gerade zu Jahresanfang, wenn noch keine Gelder eingestellt sind“. Aber „wenigstens kommt das Geld“. Das sei der Vorteil öffentlicher Aufträge. Denn zehn Prozent der Kunden zahlten gar nicht, so Schulz.

Selbst dass sich Inkasso-Unternehmen oder Anwälte um die offenen Rechnungen kümmern, bedeutet nicht, dass der Gläubiger sein Geld bekommt. In 113 der 615 Fälle der Inkasso-Abteilung der HWK sei „nichts mehr zu holen“ gewesen, so Maciejok. Zum Teil, weil die zahlungsunwilligen Unternehmen selbst insolvent seien. Nach einer Umfrage, die die HWK Potsdam im vergangenen Jahr gestartet hatte, leiden zwei Drittel der 420 befragten Bauunternehmen des Kammerbezirks an Zahlungsausfällen. Bei 40 Prozent entstanden Verluste von fünf Prozent des Umsatzes und mehr.

Das Problem sei, dass Handwerker „vorleistungspflichtig“ sind, so Insolvenzanwalt Schneidewind. Die Firmen haben das Holz, die Steine, Fliesen oder den Zement bereits aus eigener Tasche gekauft und verbaut, bevor sie die Materialien und die Arbeitskraft in Rechnung stellen. Nicht alle zahlungsunwilligen Auftraggeber hielten grundlos das Geld zurück – etwa wenn die erbrachte Leistung tatsächlich mangelhaft ist, sagt Frieder Scheffel, dessen Potsdamer Weiterbildungs-Firma „Scheffel und Partner“ zu diesem Thema juristische Seminare für Handwerker anbietet. Doch manche würden auch einfach Mängel erfinden.

Vor allem Gewerbekunden wendeten oft regelrechte Tricks an, um nicht zu zahlen. So würden Auftraggeber „regelmäßig“ Mehrleistungen nicht bezahlen, meint Scheffel. Auf den Baustellen laufe vieles per Handschlag ab. „Irgendwer sagt, da muss eine Mauer hin und sie wird gebaut“, so Scheffel. Am Ende heißt es dann: „Das habe ich nicht beauftragt, das zahle ich auch nicht.“ Darum sei es wichtig, immer Unterschriften zu verlangen, erklärt Scheffel, alles vertraglich festzuhalten. „Lies deine Papiere“, so auch der Rat von Anwalt Schneidewind. Doch das helfe nicht immer. Viele Handwerker seien „so ausbeutbar und ausgehungert nach Aufträgen“, dass sie „jeden Mist mitmachen“, so Schneidewind.

Auch Tischler Heinrich Bauer, der das Seminar bei Frieder Scheffel besucht hat, achtet auf das, was in den Verträgen geschrieben steht. Doch „die Kunden kann man sich trotzdem nicht auswählen“, meint er. Und gegen seine Auftraggeber vor Gericht zu ziehen, traue er sich auch nicht – aus Angst, die nächsten Aufträge zu verlieren.

*Namen von der Redaktion geändert

Juliane Wedemeyer

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