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Landeshauptstadt: Bis zum Rand der Zeit

Bernd Thinius erfüllt sich einen Jugendtraum. Er baut sich eine private Sternwarte auf dem Hausdach

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Die Stadt hatte erst abgelehnt. So eine Dachform ist in Potsdam-Bornim nicht vorgesehen. Bernd Thinius beantragte ja auch kein einfaches Eigenheim, sondern eines mit einer privaten Sternwarte auf dem Dach. Das ins Auge fallende Merkmal ist eine Kuppel zum Schutz des Teleskops. Der Hobby-Astronom musste folglich gut argumentieren. Er mache das nicht nur zum Spaß, es geht um Asteroidenbeobachtung, um die Bestimmung der Flugbahn von Kleinplaneten. Insbesondere von denen, die der Erde sehr nahe kommen oder gar ihre Bahn kreuzen. Genau genommen geht es um die Vermeidung solcher Horror-Szenarien, wie sie im Hollywood-Streifen „Deep Impact“ zu sehen sind. Der Einschlag großer Brocken aus dem All auf die Erde. Im Endeffekt also geht es um die Rettung der Menschheit. Die Verwaltung hatte ein Einsehen und genehmigte die Kuppel.

Dass Bernd Thinius einmal tatsächlich einen unbekannten Asteroiden entdeckt, wäre nicht ungewöhnlich. Regelmäßig werden Himmelskörper mit einem Durchmesser von vielleicht 50 oder 100 Kilometern erstmals von Amateuren beschrieben. Sollte es sogar einer sein, der mit der Erde zu kollidieren droht, „dann wird man sich an den Namen Thinius leider erinnern“, sagt Bernd Thinius. Dann nämlich wird sich die Menschheit etwas einfallen lassen müssen, um die Millionen Tonnen schwere Gefahr aus der kritischen Bahn zu bringen – mit gezielten Treibladungen oder Solarsegeln. Bei noch ein paar Jahrhunderten Zeit bis zum Aufschlag ließe sich wohl noch etwas machen.

Die Möglichkeit solcher Ereignisse hatte der Einschlag des Kometen Shoemaker-Levy 9 auf den Jupiter im Jahr 1994 verstärkt ins Bewusstsein gerückt. Thinius hatte den Einschlag auf dem Balkon seiner Wohnung im fünften Stock in der Waldstadt mit dem Teleskop beobachtet. Aber ein Balkon ist keine Sternwarte. Zwar hat er selbst von dort aus einen Quasar fotografiert – eine leuchtstarke Galaxie – , die sich in vier Milliarden Lichtjahren Entfernung befindet. Doch die Saison der Astronomen ist der Winter mit seinen langen Nächten. Thinius aber hat keine Lust mehr, sich auf seinem Balkon „die Kniescheiben abzufrieren“ auf der Suche nach NEOS, nach „Near Earth Objects“, erdnahen Objekten, oder gar Kolossen mit dem Kürzel PHS – „Potentially Hazardous Asteroids“ – das sind die Brocken, die der Erde potenziell wirklich gefährlich werden können.

„Meine Frau bekommt ein Haus und ich eine Sternwarte“, freut sich Thinius. Er steht neben dem Rohbau und begeistert sich zunehmend. Auf dem Bornimer Baugelände „Auf dem Hügel“ hat er sich die höchstgelegene Parzelle gesichert. „Das war eine Punktlandung“, jubelt er. Toll war auch, findet er, dass sich die Hamburger Hausbaufirma Störtebeker überhaupt auf den Bau einließ – schließlich hat er spezielle Wünsche. Thinius entschied sich für eine Erdwärmeheizung, weil die ohne Schornstein auskommt. Heiße Abluft könnte ihm das Teleskopbild verflimmern. Dann mussten die Säule, an der das Teleskop befestigt wird, und die eigens verstärkte Zwischendecke aus ein und demselben Guss sein. Das dient der Starrheit, Schwingungen, etwa durch den Wind verursacht, dürfen sich nicht auf das Fernrohr übertragen. Aus dem gleichen Grund ruht die Kuppel auf einem Neopren-Lager. Wer Milliarden Lichtjahre weit sehen will, also Milliarden Jahre in die Vergangenheit, bis zum „Rand der Zeit“, wie Thinius sagt, der braucht einen ruhigen, festen Blick.

Das kosmische Vorhaben des geborenen Hallensers kommt gut an in der Stadt. Seinem Vorschlag, die an seiner Haussternwarte neu entstandene Straße nach dem Potsdamer Astronomen Hermann Struwe zu benennen, hat der Kulturausschuss bereits zugestimmt. Auch in der Umgebung ist die Resonanz konstruktiv: Unweit der Sternwarte wohnt ein Schüler der Karl-Foerster-Schule. Der erzählte seiner Lehrerin von der Kuppel und die sah die Gelegenheit, die Schüler mit der Thiniusschen Begeisterung anzustecken. Der Elektronikingenieur bewies den Schülern, dass jeder mit einem einfachen Feldstecher „das sehen kann, was bereits Galilei sah“, die helle Kugel des Jupiter und seine vier großen Monde. Mit seinem für das neue Observatorium bestellten Schmidt-Cassegrain-Teleskop will er dem Nachwuchs zeigen, wie sich im Gas des Orion-Nebels neue Sterne bilden. Dass es in der zehnten Klasse keinen regulären Astronomie-Unterricht gibt wie zu DDR-Zeiten findet er „grausig“. Ihn selbst begeisterte ein Onkel für die Sterne, da war er erst sechs Jahre alt. Während des Elektronik-Studiums in Jena kauft er sich sein erstes Zeiss-Teleskop. Doch bis zur Wende blieb das Hobby „Kinderkram“. Erst mit der harten Währung konnte sich Thinius gutes Equipment kaufen. Auch veränderte die digitale Revolution die Sternenbeobachtung. Thinius, der bis 1989 am Max-Eyth-Institut, dem heutigen Institut für Agrarforschung, arbeitete, machte sich mit Kollegen vor 15 Jahren selbständig. Die Firma „TOSS“ baut Wetter- und Klimamesstechnik sowie Spezialgeräte. Sein berufliches Vermögen, elektronische Regel- und Messprobleme zu lösen, nutzt er auch für die Suche nach neuen Kleinplaneten. In einem Preisausschreiben gewann er einmal eine Forscher-Nacht mit dem 70-Zentimeter-Teleskop der Babelsberger Sternwarte. Die Krux dabei: Das Instrument der Profis besaß noch keine elektronisch gesteuerte Feinkorrektur zur Ausgleichung der Erdbewegung. Die Sterne „rutschen“ weg, die Fotos „verwischen“. Thinius baute also einen „Autoguider“, wie das Spezialgerät heißt. Auch sein eigenes Teleskop mit einer Linsen-Öffnung von 35 Zentimetern wird über einen Autoguider der Marke Eigenbau verfügen. Schließlich sind die Nächte in Deutschland nur an 51 Tagen sternenklar – da sollten die stellaren Schnappschüsse schon scharf sein.

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