
© A. Klaer
Syrische Flüchtlingsfamilie in Potsdam: Bis zwölf auf Deutsch
Der syrische Flüchtling Amin Aljarmakani, den die PNN regelmäßig begleiten, lernt fleißig Deutsch – genau wie seine Frau und der kleine Sohn. Auch sonst tut sich einiges im neuen Leben der Familie.
Stand:
Rund ein Jahr ist es nun her, seit die PNN das erste Mal über Amin Aljarmakani berichteten. Der 31-jährige Syrer war nach den Übergriffen auf Frauen in der Kölner Silvesternacht zu einer Art Sprachrohr für die Flüchtlinge in Potsdam geworden, indem er einen offenen Brief schrieb. Darin distanzierte er sich von den Taten, Hunderte folgten seinem Aufruf und unterschrieben. Seitdem haben die PNN ihn immer wieder getroffen und berichten in unregelmäßigen Abständen über sein neues Leben in Potsdam. Im Mai vor einem Jahr konnte er seine Frau und seinen Sohn Allith aus Damaskus nachholen, im Oktober zog die kleine Familie in eine eigene Wohnung. Jetzt steht wieder eine wichtige Veränderung an.
„Schau mal, Papa“, sagt Allith immer wieder aufgeregt auf Arabisch und rennt am Ufer des Tiefen Sees auf und ab. Die Vögel, das Wasser, die Schiffe – der Zweieinhalbjährige entdeckt gerade im wahrsten Sinne die Welt. Immer wieder muss sein Vater das Gespräch unterbrechen, beantwortet geduldig die Fragen des Sohnes oder hält ihm die Hand, während er auf einem Mäuerchen entlangbalanciert oder auf eine Bank klettert.
Fast zwei Jahre ist es mittlerweile her, dass Amin seine Heimat Syrien verlassen hat. Er lebte mit seiner Frau Reem und dem kleinen Allith in Damaskus, beide arbeiteten bei der syrischen Anwaltskammer. Doch als Amin zur Armee eingezogen werden sollte, ergriff er die Flucht – wie so viele junge Männer, die fürchten, ihr Leben in dem seit Jahren tobenden Bürgerkrieg zu verlieren. Reem und den damals sechs Monate alten Allith nahm er nicht mit, die Reise über die sogenannte Balkanroute, die damals, 2015, so viele Syrer nahmen, erschien der Familie zu gefährlich. Erst im Mai 2016 konnten auch Reem und Allith Damaskus verlassen und per Flugzeug nach Deutschland kommen. Fast jeden Tag telefonieren Amin und Reem mit den Angehörigen in der Heimat. Es geht ihnen vergleichsweise gut, doch der Alltag wird immer beschwerlicher – etwa durch immer weiter steigende Preise und den regelmäßigen Stromausfall.
Die kleine Familie kam zuerst in einem Arbeitszimmer einer Babelsberger Familie unter
Neu in Potsdam kamen Reem und Allith zunächst in einem umgebauten Arbeitszimmer einer Babelsberger Familie unter, die Amin schon Monate zuvor aufgenommen hatte. Seit Oktober hat die Familie eine eigene Wohnung am Humboldtring. Eine Wohnküche gibt es dort, ein Schlafzimmer und ein Kinderzimmer für Allith. Dieses wird er sich bald teilen müssen, denn Reem ist schwanger, wie Amin voller Freude berichtet. Im Mai soll der zweite Sohn zu Welt kommen. Der Arzt ist zufrieden, sowohl Reem als auch dem Baby im Bauch geht es gut.
Momentan macht Reem einen Integrationskurs, also einen Sprachkurs, der auch ein wenig Landeskunde, einen Einblick in die hiesige Rechtsordnung sowie einen Abriss über die kulturellen Werte beinhaltet. Läuft alles nach Plan, wird sie ihn abgeschlossen haben, wenn das Baby kommt. Dann tut sich allerdings ein anderes Problem auf: Es fehlt ein Kitaplatz für Allith. Momentan hat er zwar einen, eine Potsdamer Einrichtung betreut ihn quasi als eine Art Flüchtlingshilfe umsonst. Doch die Idee dahinter war, dass Allith so lange betreut wird, wie Reem den Integrationskurs besucht. Wenn dieser nun vorbei ist, will Amin einen anderen Platz für Allith finden und die Großzügigkeit der Kitaleitung nicht noch länger auf die Probe stellen. Bislang hatte er allerdings keinen Erfolg, berichtet er. Ein paar Wochen hat er noch Zeit. Auf jeden Fall tut Allith der Besuch einer deutschen Kita gut, er versteht schon viel auf Deutsch, kann sogar schon bis zwölf zählen.
Mittlerweile kann er alles auf Deutsch erzählen
Auch Amin lernt fleißig die Sprache, bis vor einigen Wochen hat er ebenfalls einen Integrationskurs besucht. Tatsächlich spricht er schon recht gut – während die Gespräche anfangs auf Englisch stattfanden, kann er mittlerweile alles auf Deutsch erzählen. „Aber ich habe noch Probleme mit der Grammatik“, gesteht Amin und lächelt. Deshalb wird er nun noch einen dreimonatigen Zusatzkurs besuchen, um dann am Ende hoffentlich das Level B1 erreicht zu haben – und damit die dritte von sechs offiziellen „Sprachstufen“.
Wie es dann beruflich für Amin, der in der Anwaltskammer in der Pressestelle arbeitete, weitergeht, ist immer noch unklar. Er kann sich vieles vorstellen, zurzeit macht er etwa ein Praktikum in einer Orthopädiefirma, was ihm großen Spaß macht. Aber vielleicht findet er ja auch am Hans Otto Theater eine Stelle, schließlich ist er zurzeit alle paar Tage hier am Tiefen See und steht auf der Bühne. Amin ist Teil des Stücks „Gehen und Bleiben“, das zwölf Menschen zusammenbringt und vorstellt, die aus unterschiedlichen Gründen ihre Heimat verließen und in Potsdam landeten. Auf der Bühne zu stehen mache ihm Spaß, erzählt er mit seiner ihm eigenen Leichtigkeit. Aufgeregt? Nur beim ersten Mal ein kleines bisschen, gibt er zu. Nebenbei schreibt Amin auch, ein fiktiver kurzer Roman ist schon fertig, an einer weiteren Geschichte sitzt er gerade. „Vielleicht finde ich jemanden, der den Stoff verfilmt.“
Der zweite Sohn könnte Julian heißen
Am spannendsten wird jetzt aber wohl die Zeit in der Familie. Wie wird es für Reem sein, in einem deutschen Krankenhaus ein Kind zur Welt zu bringen? Wie wird Allith auf den kleinen Bruder reagieren? Und wie wird der Kleine heißen? Einen Favoriten hat Amin schon: Julian. Ein deutscher Name.
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