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DICHTER Dran: Bleib am Berg!

Was Potsdam fehlt – als gebürtige Potsdamerin riskiere ich diese Offenheit in der elften Kolumne – ist Großzügigkeit. Stattdessen Pief, der aus frischen Fassaden sickert!

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Was Potsdam fehlt – als gebürtige Potsdamerin riskiere ich diese Offenheit in der elften Kolumne – ist Großzügigkeit. Stattdessen Pief, der aus frischen Fassaden sickert! Das fängt bei Ramschläden, unwirscher Bedienung, mittelmäßig gemachten, überteuerten Lokalen an, zeigt sich in kleinkrämerischer Uferwegdebatte und einfallsloser Innenstadtgestaltung; eine einzige Wiederholung des Durchschnittlichen, und läuft beim Fitnessstudio noch mal zur Hochform auf: Muff und Schweiß in der Luft, vermischt mit dem gummiartigen Geruch nach nicht ganz so teurem Bodenbelag, dem abgestandenen Geruch aus nicht ganz so teuren Schließfächern, die von nicht ganz so teuer bezahltem Personal gereinigt werden, und höchstens einmal am Tag, was sich gegen Abend in der schlierig-haarigen Schicht in den Duschen niederschlägt, deren Dunst sich mit dem aus Kursräumen vermischt, die nicht ganz so teure Belüftungsanlagen nicht ganz so belüften. Ich bin dort Mitglied. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich schon die Kräne der Schlossbaustelle in den Abend leuchten. Sie arbeiten an Potsdams kultureller Identität, deren Echtheit daran gemessen wird, ob die Fassade mehr oder weniger knobelsdorffisch sein wird.

Aber wie echt kann etwas sein, dessen Ausdruck immer ein Fake bleibt? Die Kräne könnten an einem eleganten, weltoffenen Pavillon mit kosmopolitischem Flair, erfahrenen Köchen und lässig großzügigem Chic arbeiten. Oder an einem Spa. Eines, in dem Zitronenwasser und vorgewärmte Handtücher gereicht werden und Rosenblättertee, in dem es lichte, weitläufige Ruheräume gibt mit Internetanschluss und verschiedene Tageszeitungen in verschiedenen Sprachen, in dem die Spinningräder auf dem neuesten Stand sind und Spinning nicht nach Pulsuhr und Bergetappen gefahren wird, als wären wir aus der Zeit sozialistischer Sportschulen noch nicht heraus, sondern als Form modernen Tanzes begriffen; Leichtfüßigkeit auf dem Rad, statt Bleib-am-Berg-Befehlen. Kultiviertheit, Feinsinn, vornehm-zarte Sinnlichkeit, galante Umgangsformen, auch das ist Rokoko. Eine Fassade ist immer nur eine Fassade.

Unsere Autorin Antje Rávic Strubel lebt und arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin in Potsdam. Für ihren 2007 erschienen Roman „Kältere Schichten der Luft“ erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen.

Antje Rávic Strubel

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