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Homepage: Blick in die Kinderstube der Galaxien

Eine Entwicklung aus Potsdam ermöglicht genauere Beobachtungen von fernen Galaxien

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Es werde ein Aufbruch ins Unbekannte, sagt der Astrophysiker Lutz Wisotzki. Der Wissenschaftler hat mitgeholfen, am Very Large Telescope (VLT) in der Atacama-Wüste in Chile ein neues Gerät zu installieren: Muse. Der 3-D-Spektrograf Muse eröffnet dem Teleskop neue Möglichkeiten bei seiner Erkundung des Alls. Im Herbst endet die Testphase für das neuartige Gerät. Sieben Institute, unter anderem das Astrophysikalische Institut Potsdam (AIP), sind daran beteiligt.

Fast bis in den Ursprung des Universums zurück soll der Blick des Riesenteleskops reichen. Mit der neuen Technik wird das Teleskop in Chile viel mehr als schöne Bilder aus dem Weltraum liefern können. Muse kann mit einer Aufnahme aus dem All gleichzeitig über 90 000 Spektren von astronomischen Objekten registrieren. Das hochempfindliche Instrument liefert so Bilder von bisher nicht gekanntem Detailreichtum. Die Entwicklung und der Bau von Muse dauerte knapp zehn Jahre.

Dabei sieht das neue Zusatzteil des Very Large Telescope erst einmal recht unspektakulär aus. „Man könnte meinen, das hat ein verrückter Forscher entworfen“, sagt Wisotzki etwas selbstkritisch, beim Blick auf ein Foto der Anlage. Darauf knäuelt sich anscheinend unkoordiniert ein wirrer Haufen von Kabeln, Schläuchen und Leitungen. Tatsächlich sei so gut wie jedes Teil der Anlage eine Einzelanfertigung, erklärt Wisotzki. Häufig sei überhaupt nur eine Firma weltweit in der Lage, die hoch spezialisierten Teile nach genauen Angaben der Wissenschaftler zu fertigen.

Das Ergebnis der High-Tech-Bastelei begeistert die beteiligten Wissenschaftler allerdings schon in der Testphase. „Wir erhalten Informationen aus einer Dimension, die uns bisher in dieser Weise nicht zugänglich war“, schwärmt Wisotzki, der am Astrophysikalischen Institut Potsdam die Entwicklung für Muse mit koordiniert hat. Das AIP hat die Datenreduktions-Software und die Kalibriereinheit für Muse entwickelt. Das hilft dabei, entscheidende Fragen bei der Messung des Sternenlichts zu klären. Wie viel Licht wird aufgefangen? Wie können die Signale, die das Licht erzeugt, am besten gemessen werden? Und wie groß ist der Einfluss des Messgerätes auf die Ergebnisse?

Insgesamt sieben führende europäische Forschungseinrichtungen haben zusammengearbeitet, um das neue Gerät zu entwickeln und schließlich in das Teleskop einzubauen. Das VLT setzt sich aus mehreren Teilen zusammen. In vier Türmen auf einem kahlen Berg in der Wüste befinden sich die Spiegel, mit denen die Bilder aus dem All eingefangen werden. Die jetzt möglichen Aufnahmen bereichern die Forschung in einer dritten Dimension. Auf Bildern aus dem All wie der bekannten Aufnahme des „Hubble Deep Field“ ist das Licht vieler Sterne zu sehen. Bei der Auswertung der Aufnahme waren Forscher bisher im Wesentlichen darauf angewiesen, die Lichtpunkte auszuwerten, also Berechnungen anhand der zweidimensionalen Aufnahme anzustellen. Mit dem neuen Zusatzgerät gelingt die Untersuchung von Lichtspektren, die bisher unzugänglich waren. Dadurch ist eine viel genauere Bestimmung der Entfernung und der Verhältnisse der Sterne zueinander möglich. „Wir erhalten ganz neue und viel genauere Informationen über die Atmosphäre, die Zusammensetzung, das Alter und viele andere Eigenschaften von Galaxien und Sternen“, erklärt Wisotzki.

Der Blick des VLT reiche 13 Milliarden Lichtjahre in das Universum hinein. Das sei viel weiter als bisher. Damit wäre es nun möglich, Galaxien zu untersuchen, die aus der Frühzeit des Universums stammen. Das wiederum erlaube Rückschlüsse darauf, wie der Beginn des Universums ausgesehen habe. „Das ist, als würden wir in die Kinderstube der Galaxien schauen und dabei eine Zeitreise unternehmen“, sagt Wisotzki. Wie verhalten sich die Galaxien zueinander? Stimmt es, dass Licht, das schwächer erscheint, wirklich von weiter entfernten Sternen stammt? Das sind Fragen, mit denen sich der Muse-Forschungsverbund künftig beschäftigt.

„Wir haben als Astrophysiker kein Labor“, erklärt Wisotzki. Deshalb würde ein Großteil der Forschung am Computer, bei der Auswertung von Messreihen und mit der Erstellung von mathematischen Modellen stattfinden. Muse ermögliche es, scheibchenweise repräsentative Bilder von frühen Stadien des Universums zu fertigen und anhand der Auswertung der Lichtspektren bisherige Theorien zu überprüfen.

Das AIP hat seine Entwicklung an die Europäische Sternwarte (ESO), den Projektträger, übergeben. Im Gegenzug hat die ESO dem AIP 250 Stunden Beobachtungszeit am Teleskop zur Verfügung gestellt. Das sei viel mehr als sonst üblich und geschehe im Gegenzug für die geleistete Forschungsarbeit, bemerkt Wisotzki. Am AIP leitet Wisotzki den Forschungsbereich „Galaxien und Quasare“, an der Uni Potsdam ist er in gemeinsamer Berufung mit dem AIP Professor für Astrophysik. Für das Muse-Projekt ist er seit 2007 verantwortlich. Es ist ihm anzumerken, wie glücklich er mit seiner Forschungsaufgabe ist. Begeistert erzählt er von den weiteren Schritten, die durch die Daten möglich werden, die das Teleskop mithilfe von Muse liefert. Er erwartet bahnbrechende Entdeckungen, auch wenn sie nicht direkt mit dem Teleskop, sondern am am Computer gemacht werden. „Wir Astronomen sind Bürostuhlentdecker“, sagt Wisotzki. Aber das sei ja nicht weniger spannend.

Richard Rabensaat

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