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Der 14. April 1945: Blutigrote Flammenwand am Jägertor

Karl-Gustav Illmer war vier Jahre alt, als die Bomben fielen. Er wird die Nacht nie vergessen.

Stand:

Wir wohnten damals in der Kaiser-Wilhelm-Straße 9, der heutigen Hegelallee, direkt neben dem Amtsgericht. Dort befand sich auch ein gut ausgebauter Luftschutzkeller, den meine Mutter und ich benutzten. Ich erinnere mich an einen wunderschönen Sonnentag. Niemand von uns ahnte, was in der Nacht passieren würde. Denn die Bomberströme gingen den bisherigen Krieg über Potsdam hinweg nach Berlin. Soweit ich erfuhr, fielen vor dieser grauenvollen Nacht nur vereinzelt Bomben auf die Stadt.

Es war schon dunkel, als wir mit vielen anderen Nachbarn in den Keller des Gerichts gingen. An diesem Abend sah ich zum ersten Mal die leuchtenden „Weihnachtsbäume“ am Himmel. Sie tauchten alles in ein gleißendes Licht – man hätte, glaube ich, fast Zeitung lesen können.

Der Keller war in gutem Zustand – Feldbetten, Stühle, die Fenster waren mit Stahlplatten gesichert, zudem gab es zwischen den Räumen graue Stahltüren mit Riegeln. Ein älterer Luftschutzwart betreute uns. Irgendwann am Abend begann dann der Angriff. Es rasselte mächtig ringsum, überall Einschläge. Alle saßen still und stumm im Raum. Manche weinten. Meine Mutter hielt mich fest auf ihrem Schoß. Irgendwann wurde es draußen wieder ganz still. Plötzlich kamen viele blutende und schwer verletzte Menschen zu Fuß aus der Innenstadt in den Keller – nichts als ihre Kleidung am Leib. So, wie sie sich hatten retten können, das Grauen in ihren Gesichtern.

Ich weiß noch exakt, wie wir schließlich nach draußen an die Luft gingen: Über dem Jägertor stand, blutigrot, eine Flammenwand. Noch immer gingen Bomben hoch. Rauch kam aus der Innenstadt bis zu uns. Aber die eigentliche Grenze der Bombardierung verlief ungefähr längs der Charlottenstraße. Soviel ich weiß, war etwa in der Brandenburger Straße kein Haus zerstört – oder nur wenige.

Uns allen zitterten die Knie, als wir wieder in unsere völlig unversehrte Wohnung gingen. Was für ein Wunder, nicht einmal die Fensterscheiben waren herausgesprungen. Ich erinnere mich sehr lebhaft an den nächsten Tag, einen erneut sehr sonnigen Tag. Es war Sonntag. Vor dem Lichthaus Ammon an der Ecke Jägerstraße lag ein totes Pferd. Um das Tier herum viele Menschen. Sie schnitten sich Fleisch aus dem Kadaver. Später gingen wir, glaube ich, in die Innenstadt in Richtung Kanal. Überall noch Flammen und Rauch. Aber wir hatten überlebt.

Aufgezeichnet von Hans-Rüdiger Karutz

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Hans-Rüdiger Karutz

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