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Konferenz zu Ehren des Literaturkritikers, Lektors und Autors Walter Boehlich / Nachlassbibliothek wird in Potsdam aufgearbeitet
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Kaum etwas war er mehr verpflichtet als dem geschriebenen Wort. Sein Lebenswerk als Philologe, Literaturkritiker, Verlagslektor, Übersetzer und Autor stand ganz unter dem Zeichen des respektvollen Umgangs mit fremden Texten wie auch eigener publizistischer Tätigkeit. An Walter Boehlich, aufgewachsen in Breslau, den es beruflich unter anderem nach Frankfurt/Main, Bonn, Aarhus, Madrid verschlug, erinnert man sich als Prototyp des kritischen Intellektuellen. „Schlag nach in Boehlich“, wurde zum geflügelten Wort unter Kollegen. Nicht umsonst galt Boehlich als wandelndes Lexikon.
Seine Scharfzüngigkeit als Literaturkritiker, seine ungeheure Sensibilität für das geschriebene Wort und sein Involviertsein in das literarische Leben der Bundesrepublik standen im dritten Jahr nach seinem Tod im April 2006 nun erneut im Fokus der Aufmerksamkeit. Veranstaltet vom Institut für Germanistik der Universität Potsdam und dem Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ) fand in Kooperation mit der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam am Wochenende eine interdisziplinäre Konferenz Walter Boehlichs zu Ehren statt. Mit ihr verband sich das übergeordnete Anliegen, den Beitrag des Kritikers Boehlich zur Nachkriegskulturgeschichte einzuschätzen und zu bewerten.
Zu einem Höhepunkt der Konferenz wurde die öffentliche Präsentation der 14593 Bestandseinheiten umfassenden Nachlassbibliothek Walter Boehlichs. Seit zwei Jahren wird sie von dem Potsdamer Germanisten Helmut Peitsch und der Religionswissenschaftlerin Helen Thein aufgearbeitet und erschlossen. Im Zuge der Inventarisierung von Boehlichs Privatbibliothek entsteht unter Ägide der beiden Wissenschaftler auch eine Bibliographie sämtlicher Arbeiten Boehlichs.
Seinem Vermächtnis folgend hatten seine Angehörigen posthum nach einem geeigneten Ort gesucht, um die Bibliothek geschlossen als Präsenzbestand der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der Zugang zur Boehlich-Bibliothek ist an die Eröffnung des Neubaus der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam (SLB) Ende 2012 gebunden. Bis dahin bleibt es Bibliotheksbenutzern mit ausgewiesenem Forschungsauftrag vorbehalten, das eindrucksvolle Konvolut an Büchern vor Ort zu nutzen. Derweil werden Boehlichs Bücher maßgeblich von Helen Thein von der Walter Boehlich-Arbeitsstelle am MMZ wissenschaftlich betreut.
Während der Jahre als Cheflektor des Suhrkamp Verlags von 1957 bis 1968 und auch noch danach hatte Boehlich gezielt Bestände „seiner“ Autoren aufgebaut und schwerpunktmäßig jene Nationalliteraturen gesammelt, in der sich der acht Sprachen sprechende Literaturkenner zu Hause fühlte. Bibliophile Schätze wie die vollständige Erstausgabe von Diderots und d’Alemberts „Encyclopédie“ aus dem 18. Jahrhundert vergolden den Gesamtbestand und werden zum gegebenen Zeitpunkt hinter Glas zu bewundern sein.
Politisch alarmiert und agitiert unter anderem durch seine Stigmatisierung als „Halbjude“ hat Boehlich im Laufe seines Lebens einen unverkennbaren Stil der Kritik entwickelt. Durch die Politisierung von Literaturproduktion und -beurteilung stellte Boehlich die unheilvolle Verwicklung von reaktionären Kräften und beschönigender (Schein)-Kritik an den Pranger. Auf die Gefahr anzuecken, nahm er selten ein Blatt vor den Mund und war für die Beseitigung von Tabus.
Seine Seitenhiebe gegen den „Muff der Germanistik“, gegen faule Kompromisse, laues Mittelmaß und seine wiederholt zum Ausdruck gebrachte Verachtung einer sich anbiedernden Kritik als „Schminkerin“ kamen am Abend des ersten Konferenztages im Rahmen einer Lesung aus bisher unveröffentlichten Briefen Boehlichs zur Sprache. Verfasst zwischen 1949 und 2000 an namhafte Vertreter der Nachkriegsliteratur, an Germanisten, Verleger und Feuilletonredakteure fügen sich Boehlichs zu grundlegenden Fragen bekennende Briefe wie zu einem Selbstporträt.
Mit großer Lebendigkeit und starkem Ausdruck von dem bekannten Theater- und Filmschauspieler Horst Hiemer verlesen, war man als Zuhörer der dargebotenen O-Töne dem sympathischen Menschen und streitbaren Geist dicht auf der Spur. Die unter anderem als Einleger in Boehlichs Büchern aufgefundenen Briefe sind nur ein Vorgeschmack auf den noch nicht erschlossenen Nachlass des von Boehlich mitbegründeten Frankfurter Verlages der Autoren, in dessen Obhut sich weitere Briefe und Manuskripte befinden.
Dass die Boehlich-Bibliothek nach Potsdam kam, ist ein Verdienst von Sabine Boehlich. Mit Weitsicht hatte sie sich mit Aufsicht auf das ihr vom Onkel zugedachte Erbe in Gestalt des Judaica-Bestandes beizeiten am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam immatrikuliert. Weiters lag mit der ausgewiesenen Spezialisierung des MMZ auf Nachlass-Bibliotheken und eingedenk der sich absehbar vergrößernden Stadt- und Landesbibliothek das weitere Schicksal von Boehlichs Büchern auf der Hand. Almut Andreae
Almut AndreaeD
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