Landeshauptstadt: Bombensuche mit System beginnt
101. Blindgänger in Potsdam seit der Wende entschärft / 6500 Menschen von Evakuierung betroffen
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Babelsberg/Am Schlaatz - Die Buchstaben „KMBD“ auf der schwarzen Wollmütze von Manuel Kunzendorf erinnern an eine Polizei-Sondereinheit aus US-amerikanischen Vorabendserien. Darin würde Kunzendorf den coolen, wortkargen Typen spielen, der gerufen wird, um mit seiner Kunst eine ganze Stadt zu retten. Danach sagt er Sätze wie: „Wieder eine weniger für Potsdam“ – als hätte er gerade eine lästige Kakerlake zerdrückt.
In Wirklichkeit musste der Kampfmittelbeseitigungsdienst (KMBD) gestern zum 101. Mal seit 1990 in der Landeshauptstadt einen Blindgänger unschädlich machen. Wie viele noch verborgen unter der Erde liegen, könne nur spekuliert werden. Kunzendorf rechnet jedenfalls mit weiteren Einsätzen, zumal Potsdam in den nächsten Monaten mit der systematischen Bombensuche auf Geländen von Schulen und Kindergärten beginnen will.
Die Vorarbeiten seien sehr weit fortgeschritten, sagte Ordnungsamtleiterin Marina Kluge gestern. Nun soll jedes städtische Grundstück mit Schulen und Kitas, auf dem nicht kürzlich gebaut worden ist, systematisch nach Blindgängern abgesucht werden. Systematisch heißt dabei, dass in bestimmten Abständen Bohrungen stattfinden und empfindliche Suchgeräte eingesetzt werden, so Frank Pestel vom Munitionsbergungsdienst.
Die gestern an der Fritz-Zubeil-Straße unschädlich gemachte US-amerikanische Fliegerbombe sei dagegen ein Zufallsfund bei Bauarbeiten gewesen. 6500 Menschen in Babelsberg und Am Schlaatz mussten deswegen am Vormittag für mehrere Stunden ihre Wohnungen verlassen, Geschäfte blieben geschlossen und der Verkehr auf der Nutheschnellstraße ruhte für mehr als eine Stunde.
Der Fundort des Stahlkolosses liegt nur 50 Meter von der Schnellstraße entfernt. Genau einen Meter unter der Erdoberfläche hat der nicht detonierte Sprengkörper gelegen, bis vor einigen Jahren unter Möhren und Kartoffeln. Inzwischen hat sich Gewerbe auf den früheren Kleingärten angesiedelt, am Dienstag stieß ein Baggerfahrer bei Schachtarbeiten mit seiner Schaufel auf den Sprengkörper. Wie die Bombe an diese Stelle gelangte, könne nicht rekonstruiert werden, sagte Pestel vom Munitionsbergungsdienst. Die Blindgänger würden durchs Erdreich wandern und manchmal „wie Pinguine im Wasser“ wieder auftauchen. Die Luftbilder mit Einschlägen aus dem Zweiten Weltkrieg würden bei der Suche helfen, doch nicht immer befänden sich die Bomben noch rund um die Krater. Pestel erklärte, dass unter Berücksichtigung der Abwurfrichtung und der Maße der Bombe versucht werde, den Lageort zu berechnen, doch hänge viel von der Beschaffenheit der Erde am Einschlagsort ab. Grundwasser und Verschiebungen im Boden sorgten für eine ständige Wanderung der Bomben.
Während die 200 Mitarbeiter der Stadtverwaltung mit Hilfe der Polizei einige Bewohner Am Schlaatz per Schlüsseldienst aus ihren Wohnungen zwingen mussten und sich dadurch die Evakuierung verzögerte, verbrachten mehr als 150 Potsdamer ihren Vormittag in der Turnhalle der James-Krüss-Förderschule im Bisamkiez – darunter auch Frieda Eichstaedt mit ihren Nachbarinnen Eleonore Deutzer und Ilona Fehrmann. Zu dritt saßen sie an einem Tisch und spielten Rommee. Gewonnen hat die 99-Jährige Frieda Eichstaedt, die einst die Bomben in Potsdam fallen sah und nun die Entschärfung des 101. Blindgängers miterlebt.
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