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Landeshauptstadt: Bonbons nach der Bombe

Rund 9700 Menschen mussten am Mittwochmorgen ihre Wohnungen verlassen. Evakuierung und Entschärfung verliefen reibungslos

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Innenstadt - Als die Arbeit getan war, gab es Bonbons für den Bombenexperten: Sprengmeister Mike Schwitzke lächelte, posierte noch einmal vor dem rostigen 250-Kilogramm-Fund unweit des Hauptbahnhofs – dann überreichte ihm Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) „Tapferkeits-Toffees“ und „Nervennahrung“-Schokolade: „Auch wenn ich glaube, Sie brauchen das gar nicht“, wie er anerkennend anmerkte. Für Schwitzke war es die 60. Bombe, die er routiniert unschädlich gemacht hatte, für Potsdam Bombe Nummer 159 seit 1990.

Anders als vor drei Wochen, als die Evakuierung für die Entschärfung einer Bombe an gleicher Stelle ad hoc noch am selben Tag organisiert werden musste, verlief die Räumung des Sperrkreises am Mittwoch reibungslos und zügig. Schon um 10.57 Uhr hatten die rund 9700 Potsdamer im Gebiet 800 Meter rund um den Fundort ihre Wohnungen oder Arbeitsstellen verlassen, sodass Schwitzke mit dem wichtigsten Teil seiner Arbeit beginnen konnte: der Entschärfung.

Dafür musste er zunächst den Zünder reinigen, „um mit der Zange ansetzen zu können ohne abzurutschen“, wie er später erklärte. Den Zünder habe er dann vorsichtig herausgeschraubt und vor Ort kontrolliert gesprengt. 11.36 Uhr war die Bombe entschärft, 11.41 Uhr der Sperrkreis wieder aufgehoben – im Dezember hatte sich das Prozedere dagegen bis in die Abendstunden hingezogen.

Nicht nur für die Potsdamer im Evakuierungsgebiet, auch für insgesamt 625 Mitarbeiter von Stadtverwaltung, Berufsfeuerwehr, Polizei und Bundespolizei begann der gestrige Arbeitstag bereits früh. Ab 7 Uhr sammelten sich die Einsatzkräfte auf dem Hof der Feuerwehr in der Holzmarktstraße und verteilten sich in Trupps im Evakuierungsgebiet, um den Sperrkreis zu sichern und zu kontrollieren, ob alle ihre Wohnungen verlassen hatten.

Der Hauptbahnhof war ab 8 Uhr gesperrt, Züge und Trams fuhren nur noch ohne Halt durch. Sirenen jaulten. Auch Landtag und Landesregierung waren betroffen. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) verlegte seinen Arbeitsplatz kurzerhand in die Landesvertretung in Berlin. Drei Schulen und sechs Kitas blieben leer, drei Seniorenheime mussten geräumt werden. Nach Stadtangaben waren rund 300 Transporte mit nicht mehr allein gehfähigen Menschen in die Ausweichquartiere unterwegs.

Aufhalten konnten sich die betroffenen Potsdamer zum Beispiel im „Treffpunkt Freizeit“ am Neuen Garten, wo es in gemütlicher Atmosphäre nicht nur Kaffee und Tee, sondern auch einen Chorauftritt gab. Auch im „Freiland“ war die Stimmung ruhig, einige Damen spielten Rummikub, so wie die 77-jährige Edeltraut Schilling, die schon zum dritten Mal von einer Bombenräumung betroffen war. „Es erschüttert einen immer, dass so lange nach dem Krieg noch Bomben gefunden werden“, sagte sie. Als acht Jahre altes Mädchen hat sie den Bombenangriff auf Dresden miterlebt. Für die Organisation der Entschärfungen jetzt hatte sie nur lobende Worte: „Man fühlt sich in Potsdam in dieser Beziehung gut aufgehoben.“ jaha/sku

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