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Sport: Brandbrief an Thomas Bach

Potsdams Spitzen-Ruderer kämpfen um die Weiterbeschäftigung ihres Trainers Steffen Becker, dessen Vertrag nicht verlängert wurde

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Die Lage ist ernst am Potsdamer Seekrug: Derzeit wissen die Spitzen-Ruderer des RC Potsdam nicht, wer sie ab 1. Januar kommenden Jahres trainieren wird. Daher bitten sie in einem Brandbrief an Thomas Bach, den Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), um Hilfe. Ihr bisheriger Coach Steffen Becker bekam vor zwei Monaten vom damaligen Cheftrainer Hartmut Buschbacher knapp mitgeteilt, dass der Deutsche Ruderverband (DRV) mit ihm im neuen Olympiazyklus bis Rio de Janeiro 2016 nicht mehr zusammenarbeiten werde. Ein Nachfolger Beckers, der in den vergangenen Jahren die Kadersportler im Seekrug trainiert hatte, wurde bislang nicht benannt. Inzwischen hat Buschbacher selbst auf eigenen Wunsch den DRV verlassen, seit einigen Tagen steht der Hamburger Marcus Schwarzrock als neuer DRV-Cheftrainer fest – Signale, wie es in Potsdam weitergehen soll, gibt es bislang nicht.

„Unsere Trainingsgruppe hat gemeinsam an Thomas Bach geschrieben, hat ihm unsere Situation geschildert und erklärt, dass wir wissen wollen, wie es mit uns ab 2013 weitergeht“, erzählt Daniela Schult- ze, die mit dem deutschen Frauen-Achter bei den Olympischen Spielen in London auf Platz sieben landete und die jetzt den Potsdamer Hilferuf an den DOSB-Präsidenten schickte. „Wir möchten“, sagt sie, „für die nächsten Höhepunkte und Olympia in Rio bei jemandem trainieren, zu dem wir Vertrauen haben – und das ist unser jetziger Trainer.“ Seit dem Wintereinbruch trainieren Daniela Schultze, Stephanie Schiller, Juliane Domscheit, Hans Gruhne, Clemens Wenzel und Felix Bach vor allem im Ruderkasten des Seekrugs – wenn es ihre Zeit zulässt. Schiller tritt derzeit kürzer, weil sie an der Abschlussarbeit ihres BWL-Studiums schreibt, Domscheit und Bach haben ihre Ausbildung bei der Landespolizei begonnen, Gruhne absolviert weiter seine Ausbildung bei der Bundespolizei. Bei den Berliner Indoor Rowing Open am heutigen Samstag an Ergometern tritt der RC Potsdam nur mit Nachwuchsruderinnen und -ruderern an.

Mit Rang sieben für Schultze im Achter, Platz neun für Schiller im Doppelzweier und keinem Mann auf der Olympia-Strecke des Dorney Lake wurden Potsdams Ruderer in diesem Jahr ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht. „Das war aber lange vorher absehbar, weil der DRV kein wirklich richtiges Konzept hat“, sagt Herwig Ritter. Ritter ist noch bis Jahresende kommissarischer Leiter des Ruder-Bundesstützpunktes am Seekrug, der mittlerweile nur noch Bundesnachwuchsstützpunkt und nicht mehr an den DRV, sondern an den Landesruderverband angegliedert ist. „Hans Gruhne hätte es eventuell noch nach London geschafft, Schillers spätes Umsetzen vom Doppelvierer in den Doppelzweier war eine verkorkste Geschichte, und dass mit Dolmscheit die physisch stärkste Frau aus dem Achter genommen wurde, kann niemand erklären“, meint der 69-Jährige, und: „Es ist ein Witz, dass der ehemalige Cheftrainer, der jetzt die Kurve gekratzt hat, entschied: Mit Becker will ich nicht mehr weiterarbeiten.“

Der Ruder-Club selbst ringt derzeit um eine Lösung. „Das Land ist informiert, die Familie kümmert sich“, sagt RC-Präsidentin Kathrin Boron. Es sei normal, dass Dinge hinterfragt werden, wenn der Erfolg ausbleibe. „Aber es ist eine Frage des Stils“, so Boron. „Es ist eine Frechheit, wie mit mir umgegangen wird“, meint Steffen Becker selbst. „Es gab von Buschbacher keine Begründung, sondern nur die Festlegung: Mit Becker wird nicht weitergearbeitet.“ Der 46-Jährige, der seit 30 Jahren als Aktiver und dann als Trainer im Rudersport tätig ist, hat sich inzwischen einen Anwalt für Arbeitsrecht genommen. „Ich habe jetzt auf Wiedereinstellung geklagt“, erklärt der Coach. Bis Montag betreute er noch seine Schützlinge, jetzt macht er Urlaub. „Den ersten nach drei Jahren. Und dann muss ich sehen, wie ich ab Januar 2013 meine Miete bezahlen kann.“ Vom DRV war zu seiner Personalie bislang noch nichts Neues zu hören. Und Thomas Bach hat auch noch nicht geantwortet.

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