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Kritischer Blick. Brigitte Böttcher prüft Blumen auf Sortenreinheit.

© Andreas Klaer

PRÜFSTELLE WIRD GESCHLOSSEN: Bunte Blüten und blaue Briefe

Das Bundessortenamt schließt 2015 den Standort Marquardt – seit 1966 werden dort Pflanzen geprüft:

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Noch schlägt hier das Herz von Blumenfreunden höher: Weiße, gelbe, rote, blaue Blüten – die Pflanzen der Gattung Calibrachoa beeindrucken durch ihren Farbenreichtum. Nuancen sind nicht immer leicht zu erkennen: Rot ist hier nicht gleich Rot. Auch Purpur, Dunkelrot und Hellrot sind vertreten. 56 Sorten der als Balkonpflanze beliebten Calibrachoa wachsen zur Zeit auf dem Gelände des Bundessortenamtes in Marquardt. Nach Farben sortiert und in große Töpfe gepflanzt werden sie einer intensiven Beschau unterzogen.

Bewertet wurde kürzlich auch das Sortenamt selbst: Elf Außenstellen nebst der Zentrale in Hannover gibt es. Das sei zu viel, befand das Bundeslandwirtschaftsministerium und entschied, fünf Außenstellen bis 2015 zu schließen, darunter die Prüfstelle in Marquardt.

Noch in den Jahren 2003 bis 2005 hatte man auf dem 23 Hektar großen Betriebsgelände in Marquardt alle Gebäude abgerissen und komplett neu gebaut, erzählt Prüfstellenleiter Dirk Kruiskamp. Doch was nach rosiger Zukunft aussah, mündete nun, keine zehn Jahre später, im Schließungsbeschluss.

In Marquardt sind elf Mitarbeiter beschäftigt. Rund die Hälfte von ihnen wird mit der Schließung in den Ruhestand gehen, darunter Brigitte Böttcher. Die Agraringenieurin bezeichnet sich selbst als „das lebende Inventar“ der Marquardter Prüfstelle. Seit dem 1. September 1966 arbeitet sie hier. Nur vier Monate zuvor, am 1. Mai 1966, wurde auf dem Areal nahe der heutigen B 273 eine Versuchsstation der „Zentralstelle für Sortenwesen“ gegründet.

Böttcher zeigt auf die Calibrachoa-Pflanzen mit ihren vielen kleinen trichterförmigen Blüten. Unter den 56 Sorten sollen 28 neue Züchtungen sein. Doch das müsse man erst einmal genau untersuchen, sagt Böttcher. Ergeben die Prüfungen, dass es einem Züchter wirklich gelungen ist, eine neue Sorte zu züchten, erteilt ihm die Behörde Sortenschutz, also eine Art Patent, auf seine neue Kreation. Gut möglich aber auch, dass sich eine Pflanze bei näherem Hinschauen als alte Bekannte erweist. Den Sortenschutz gibt es dann natürlich nicht. Die Pflanzenprüfung des Amtes muss der Züchter trotzdem bezahlen.

Nicht allzu weit entfernt von den Nüssen, Esskastanien und den vielen Wildobstarten auf dem Amtsgelände präsentiert Böttcher einen ganzen Fundus von Veronika-Sorten. Hier geht es darum, die unterschiedliche Wuchsqualität zu bewerten. Böttcher zeigt auf eine weiß blühende Pflanze: „Die liegt doch nur um, die ist überhaupt nicht standfest“, lautet das kritische Urteil. Mit den zartrosa blühenden Veronika-Stauden nur wenige Meter weiter ist Böttcher dagegen versöhnt: „Die Sorte steht.“

Geprüft wird auch, wie „farbecht“ Züchtungen sind. In einem Topf mit rötlich blühenden Calibrachoa sind die Blüten ein und derselben Pflanze nicht einheitlich. Manche gehen mehr ins Rot, andere in Richtung gelb. Sortenschutz kann darauf nicht erteilt werden. „Dann gibt’s schon mal einen ,blauen Brief’“, sagt Böttcher. Mit einem solchen Schreiben wird der Züchter über das negative Prüfergebnis informiert.

Wenn die Prüfstelle geschlossen wird, möchte man blaue Briefe an die Mitarbeiter möglichst vermeiden. Wer nicht in den Ruhestand geht, soll an andere Standorte wechseln können. Befristete Arbeitsverträge laufen aus. „Sozialverträglich“ werde die Schließung sein, sagt das Amt. Die Zukunft des riesigen Betriebsgeländes ist noch ungewiss. H. Catenhusen

H. Catenhusen

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