Landeshauptstadt: Bürgerbefragung heute vor Gericht
Kläger: Gerichtspräsident könnte befangen sein / Vorwurf der Verfassungswidrigkeit zurückgewiesen
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Heute Nachmittag will das Potsdamer Verwaltungsgericht entscheiden, ob die geplante Bürgerbefragung zum Standort des Landtagneubaus gestoppt wird oder stattfinden kann. Welcher Richter dies übernimmt, ist jedoch unklar: Der Student Mario Schenk, der am Mittwoch mit einem Antrag auf „einstweilige Anordnung“ gegen die Befragung vor Gericht gezogen war, hat gestern die vorgesehene Entscheidung durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichts, Claus Peter Ladner, wegen „Besorgnis der Befangenheit“ abgelehnt. Der Grund: Ladner hatte sich in einem PNN-Beitrag vom 18. November als Befürworter eines Landtagsneubaus auf dem Stadtschloss-Areal geäußert. Befragt zu der zweifachen Ablehnung der entsprechenden Bauplanungen durch die Stadtverordneten sagte Ladner, das Abstimmungsergebnis sei „ein großes Fiasko“. Der Landtagsbau wäre ein Geschenk an die Stadt gewesen, das man leichtfertig abgelehnt habe, wird er weiter zitiert.
Ob „objektiv“ eine Befangenheit vorliegt und Ladner tatsächlich nicht über die Bürgerbefragung entscheiden soll, kläre heute das Gericht, sagte gestern Sprecherin Dagmar Rudolph. Dies geschehe durch die anderen Richter der zuständigen 2. Kammer und einen Vertretungsrichter.
Bis 14 Uhr wird außerdem eine Stellungnahme des Potsdamer Oberbürgermeisters Jann Jakobs (SPD) im Verwaltungsgericht erwartet. Jakobs soll sich darin zu den von Student Schenk vorgebrachten Beschwerden äußern. Schenk hatte bemängelt, dass die Fragestellung bei der Befragung aller wahlberechtigten Potsdamer Bürger suggestiv sei und eine komplette Ablehnung eines Landtagsneubaus verwehrt werde. Damit würden Wahlrechtsgrundsätze missachtet (PNN berichteten). Schenk äußert sich nach eigenen Angaben im Namen des „Republikanischen Freundeskreises für zeitgenössische Ästhetik“. Dies sei ein lockerer Zusammenschluss Potsdamer Wissenschaftler, Künstler und Studenten. Republikanisch sei dabei „als Gegengewicht zur Monarchie“ zu verstehen. Sie wollten die Befragung stoppen, da sie undemokratisch sei: Zum einen, weil kein Nein-Votum möglich sei und die zwei neben dem Schlossgrundriss vorgeschlagenen Standorte – Palais Barberini und Speicherstadt – offensichtlich unrealistisch seien. Zum anderen, weil es sich um eine Bürgerbefragung handele, die Parteien der Stadtverordnetenversammlung aber angekündigt hätten, das Ergebnis wie einen Bürgerentscheid zu werten. „Das tangiert mich als jemand, der an die Demokratie glaubt“, so Schenk.
Die Fraktionschefs von Linkspartei.PDS, SPD und CDU – sie waren maßgeblich an dem Beschluss für die Bürgerbefragung beteiligt – wiesen die Vorwürfe Schenks gestern zurück. Die Fragestellungen seien nicht suggestiv, zudem gebe es die Möglichkeit für die Bürger, sich mit dem Eintrag „Brauhausberg“ unter der Rubrik „Sonstige Standorte“ für den bisherigen Landtagsbau auszusprechen – und damit gegen einen Neubau, so PDS-Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg. Er wies daraufhin, dass am Brauhausberg auch „zwei Drittel neu gebaut werden müssen“, sollte der Landtag im maroden Bau bleiben. CDU-Fraktionschef Steeven Bretz sagte, seine Fraktion halte an der Befragung fest – denn diese „ersetzt nicht eine Abstimmung der Stadtverordneten“. Ende Januar sollen sie nach Auskunft von Oberbürgermeister Jakobs ein drittes Mal über den Bebauungsplan entscheiden. Zuvor sollten die Bürger durch die Befragung helfen, „den gordischen Knoten zu zerschlagen“, so Bretz. Die Stadtverordneten hätten das Recht, die Bürgermeinung einzuholen.
Dies hatte Prof. Dr. Michael Nierhaus, Direktor des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam, in Zweifel gezogen – er hatte die Bürgerbefragung als möglicherweise verfassungswidrig eingeschätzt (PNN berichteten). Auf Bundesebene gebe es dazu laut Nierhaus eine „ziemlich eindeutige Rechtslage“. Diese bezieht er auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1958. Es hatte auf Antrag der Bundesregierung den Stadtstaaten Hamburg und Bremen eine Befragung ihrer Bürger zur „Wiederbewaffung mit Atomwaffen“ als verfassungswidrig untersagt. Laut Nierhaus mit folgenden Begründungen: Der durch die angeblich unverbindliche Bürgerbefragung ausgelöste öffentliche Druck beeinträchtige die Freiheit des Mandats der Bundestagsabgeordneten, denen die Entscheidung in der Frage zustand. Zudem sollte den Bürgern mit der Befragung eine „Mitwirkung in der Staatswillensbildung“ zugestanden werden, die nicht zulässig sei – „das Tätigwerden des Volkes als Staatsorgan ist im freiheitlich demokratischen Rechtsstaat durch Kompetenznormen begrenzt“. Die „Entscheidungskompetenz“ werde den Bürgern durch das Instrumentarium Bürgerentscheid ermöglicht. Eine Bürgerbefragung gehöre nicht zum „Instrumentarium direkter Demokratie“, so Nierhaus.
Dass dieses Urteil möglicherweise auf die Potsdamer Bürgerbefragung übertragbar sei, sieht Nierhaus – selbsterklärter Befürworter direkter Demokratie – aus zwei Gründen: Auch die Potsdamer Stadtverordneten hätten eine Freiheit ihres Mandats, die durch den Druck des Ergebnisses der Bürgerbefragung in Frage gestellt sein könne. Außerdem falle der Sachverhalt Landtagsneubau mit der Entscheidung über einen Bebauungsplanentwurf eindeutig in die Entscheidungskompetenz der Stadtverordneten – und nicht in die der Bürger.
Potsdams Bürgermeister Burkhard Exner (SPD) sagte gestern, Nierhaus lege mit seinen Äußerungen eine „extrem konservative Auffassung der partizipativen Demokratie an den Tag“. Die Fraktionschefs von SPD, CDU und Linkspartei.PDS wiesen die Darstellungen Nierhaus“ weitgehend zurück. Die Stadtverordneten fühlten sich nicht in der Freiheit ihres Mandats eingeschränkt, da sie selbst mit großer Mehrheit die Bürgerbefragung beschlossen hätten, meinten sowohl Bretz (CDU) als auch Scharfenberg (PDS). Für Bürgerbefragungen sei kein rechtlicher Rahmen vorgegeben, so Scharfenberg weiter – auch deshalb sei der gewählte Weg zulässig und nicht verfassungswidrig. Schubert (SPD) meint, dass zwischen dem Urteil von 1958 und dem Potsdamer Fall eher kein Zusammenhang bestehe: Damals habe Landeswillen den Bundeswillen beeinflussen oder brechen sollen. Ob das Urteil auf die Bürgerbefragung bezogen werden könne, die sich ja auf ein städtisches Problem beziehe, müsse „wohl wirklich erst noch geklärt werden“.
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