Landeshauptstadt: Büsten für Bürgel
Kunstprojekt zum 100. Schuljubiläum
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Nasses Papier klitscht an den Händen. Die Finger formen Figuren, heben ein Relief aus zeitungsgrauem Hintergrund hervor. Dann kommt Farbe ins Spiel. Der neunjährige Ingo braucht ein Ziegelrot für den Backstein seiner Schule. Weil sie bald hundert Jahre alt wird, hat er sie in sein Bild aus Pappmachee gesetzt. Die Sternwarte auf dem Dach lässt unschwer erkennen, dass es sich um die Babelsberger „Bruno H. Bürgel“-Schule handelt. An manch sternenklaren Abenden sind die Kinder hinaufgestiegen, um durch das Teleskop ins All zu linsen. Ingo glaubt felsenfest, von dort einen Kometen gesichtet zu haben. Mit zischenden Lauten und weitem Armkreis beschreibt er dessen Bahn, während er mit der anderen Hand Farbe auf sein Schulhaus tupft.
Ingo und seine Klassenkameraden werkeln in der Kunstschule Potsdam im Babelsberger Kulturhaus an Bildern und Objekten, die sie zum 100. Geburtstag ihrer Schule am 2. Juni auf einem Basar verkaufen wollen. Das Kunstprojekt, an dem sich nahezu die gesamte Schülerschaft beteiligt, umkreist – mal weiter und mal näher – die Person des Astronomen und Publizisten Bruno H. Bürgel. Hat die Schule bislang ohne eine Büste ihres Namensgebers auskommen müssen, so erhält sie in diesen Tagen gleich vierzig verschiedene Varianten, allesamt aus Altpapier, dafür aber mit ausdrucksstarken Gesichtszügen und mutiger Farbgebung.
„Pappmachee ist ein so geduldiges Material“, lobt Thea Moritz von der Kunstschule dessen gute Eigenschaften. „Es lässt sich lange formen, immer wieder verändern und leicht bemalen.“ Ideal für die Kinder, die hier in den großzügigen Werkstätten frei experimentieren können. „Wir erklären die Technik, geben ein paar Tipps – alles andere ist dann der Fantasie überlassen.“
Die Kinder mögen diese offene Atmosphäre, fernab von Zeit- und Zensurendruck. Gern würde auch Silvia Simnic, Kunstlehrerin an der Bürgel-Schule, auf das Notengeben verzichten. Im normalen Unterricht merke sie schon, dass die Kinder beim Malen die bevorstehende Bewertung im Hinterkopf hätten und alles richtig machen wollten. „Ein ,richtig“ oder ,falsch“ aber gibt es in der Kunst nicht“, weiß Thea Moritz. „Für den einen ist eine Baumkrone ein Meer aus getupften Blättern, für den anderen ein grüner Kreis. Wir können die Kinder nur ermutigen, den Baum so zu malen, wie sie selbst ihn wahrnehmen.“
Lehrerin Silvia Simnic nimmt aus dem gemeinsamen Projekt mit der Kunstschule vor allem eines mit: Sie möchte, dass der enge 45-Minuten-Takt für den Zeichenunterricht aufgebrochen und die dafür vorgesehenen Stunden zusammengelegt werden, damit die Kinder so wie hier in der Kunstschule ruhiger und ausdauernder arbeiten können.
Die Fülle der Objekte, die in der kurzen Zeit des Bürgel-Projekts entstanden sind, zeigt, wie kreativ und produktiv Schüler in echter Werkstattatmosphäre sein können. Überall in den Räumen und Gängen lagern die fertigen Arbeiten: Plastiken von Widder, Löwe und anderen Sternbildern, Reliefs mit Wissenschaftlern an Fernrohr, Lupe und Mikroskop. Und immer wieder der in den Himmel schauende Bürgel. Irgendwo dazwischen findet sich Ingos rot leuchtende Backsteinschule mit der Kuppel auf dem Dach, durch deren geöffneten Spalt er einen Kometen fliegen sah.
Antje Horn-Conrad
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