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Nicht verzagen, Kautzsch fragen. Ex-Chefarzt Dr. Gottfried Kautzsch am Schreibtisch in seiner Potsdamer Wohnung.

© Andreas Klaer

Von Guido Berg: Chefarzt mit Herz

Gottfried Kautzsch, 16 Jahre lang leitender Mediziner am St. Josefs-Krankenhaus, wird heute 70

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Es ist ein bisschen wie die positive Variante von „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“: Mehre das Gute und du hast vielleicht einmal selbst etwas davon. Lange hat sich Gottfried Kautzsch für die Einrichtung einer Intensivmedizin am St. Josefs-Krankenhaus eingesetzt. Die gab es noch nicht, als Kautzsch als junger Assistent 1965 in dem katholischen Potsdamer Krankenhaus anfing. Herzinfarktpatienten lagen auf einer normalen Station, eine Schwester wurde abgestellt, zur Kontrolle von Puls und Blutdruck. Ein Bild von den damaligen Verhältnissen macht sich auch, wer sich die resolute Ordensschwester vorstellt, wie sie ein Bündel Geldscheine aus der Schürzentasche holte, um Klempner zu bezahlen oder die Einkäufe des Alltages zu tätigen. Ein professionelles Management sieht anders aus. Doch es funktionierte.

Kautzsch Ehefrau Hanna sagt, ihr Mann sei „mit dem Krankenhaus verheiratet“. Schichten gab es noch nicht, der Tag hatte bis zu 14 Stunden. Vollends „uferlos“ wurde es, als der Eisenacher Pfarrerssohn 1986 in die Chefarzt-Position aufsteigt. Er ist der neunte Chefarzt in dem 1862 ursprünglich als Waisenhaus gegründeten Krankenhaus. Motto dieser Zeit: „Nicht verzagen, Kautzsch fragen.“ Damals ging es darum, das Krankenhaus zu modernisieren, die technische Revolution zu meistern, Ultraschalldiagnostik, später Computertomografie waren zu etablieren. Zusammen mit seiner Frau, Krankenschwester von Beruf, baut Kautzsch eine leistungsfähige Endoskopie auf. Das ist Medizin mit Fieberglasröhren, die zur Diagnostik oder zur Operation in den Körper eingeführt werden und oft das Messer des Chirurgen ersetzen. Kautzschs Geige liegt seit langem unangerührt im Bücherschrank, ganz oben direkt unter der Zimmerdecke, unerreichbar im Leben eines engagierten Mediziners und dreifachen Vaters. „Aber die Enkel spielen“, tröstet sich Kautzsch.

Es passiert im 14. Chefarztjahr, am 26. Januar 2000. Zur Röntgenbesprechung kommen sie alle in einem Raum, Oberärzte, Stationsärzte – nur Kautzsch fehlt noch. Plötzlich kommt der Chefarzt durch die Tür. Noch aus der Bewegung heraus fällt er seinen Kollegen vor die Füße. Der nicht sehr große, freundliche Mann mit den blauen Augen kann heute dabei lächeln, wenn er Sätze sagt wie „es folgte die Reanimation des Chefs“ oder „mir ging es gut dabei, ich bin erst wieder in der Intensivstation aufgewacht“. Das akute Herzkammerflimmern im Zuge einer Durchblutungsstörung hätte leicht Kautzschs Todesursache sein können. Grund dafür waren „arteriosklerotische Veränderungen“. Deren Ursache wiederum hat einen kurzen Namen: Stress. Es folgt ein guter Bypass der Herzklinik Bernau und der Ruhestand ab 2003. Sein Leben verdankt der Arzt auch der Tatsache, dass im St. Josefs-Krankenhaus Eingriffe mit Herzkathedern möglich waren, mit dessen Hilfe die Gefäßverengung an seinem Herzen schnell aufgeweitet werden konnte.

Reich sind sie nicht geworden. Hanna Kautzsch erzählt von den 500 Mark, die ihr Gottfried als Assistenzarzt verdiente. Brauchte er eine neue Hose für 89 Mark, legte sie Monat für Monat 10 Mark zurück. Wenn Kautzsch sich mit Schulfreunden der Eisenacher Ernst-Abbe-Oberschule trifft, können die, die in Westdeutschland als Ärzte arbeiteten, nicht glauben, wie gering die Rente ist, die der Ex-Chefarzt aus Potsdam bekommt. Ein Porsche, eine Finca auf Mallorca? Kautzsch winkt ab. Kein Bedürfnis. Eine Flügeltür in seiner Wohnung trennt Wohn- von Arbeitszimmer. Sie steht offen, vielleicht ist auch das ein Sinnbild dafür, wie eng Arbeit und Privates im Leben des Gottfried Kautzsch miteinander verwoben sind. Der Türrahmen darf nicht gestrichen werden, denn darauf stehen zahlreiche Größenmarkierungen. Weit unten steht „Lorenz, 26.9.98“ oder „Miguel 10.08.09“. Acht Enkel hat Kautzsch, sie alle sind in ihrem Großwerden an der Türzarge verewigt. Kurzum, es ist die Familie, die in seinem Leben zählt.

Im Beruf waren es die Patienten, die im Mittelpunkt standen. „Herr Kautzsch wird mit der Visite nicht fertig“, hieß es immer. Aber auch darüber wird er schmunzeln können, am heutigen Tag, an dem er seinen 70. Geburtstag feiert.

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