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Landeshauptstadt: Da führt kein Weg hin

Sperrbänder, Sicherheitskräfte, Strafanzeigen: Seit gestern herrscht wieder Ausnahmezustand am Griebnitzsee

Stand:

Babelsberg - „Wir sind das Volk! Wir wollen hier durch!“ Die zwei Frauen in Winterjacken haben jede Zurückhaltung aufgegeben. Sie stehen am Ufer des Griebnitzsees, vor einer Sperre aus rot-weißem Flatterband und vor Männern mit breitem Kreuz und kurz geschorenen Haaren. Wütend schleudern sie ihnen ihre schnell gefundene Parole entgegen: „Wir sind das Volk! Wir wollen hier durch!“ Doch es tut sich nichts. Auf dem Uferweg, einst Kolonnenweg der DDR-Grenzer, ist an diesem Vormittag kein Durchkommen.

Punkt sechs Uhr früh hat der Babelsberger Sicherheitsdienst von Andreas Seidel den Weg abgesperrt – im Auftrag von etwa zwölf Griebnitzsee-Anrainern aus der Virchow- und der Karl-Marx-Straße. Es ist die zweite Eskalation des Konflikts, seit der Weg vor genau drei Jahren mit Presslufthämmern zerstört worden war. Doch die gestrige Aktion der Anrainer hat eine neue Qualität. Die Grundstückseigentümer setzen nicht mehr auf einen Kompromiss mit der Stadt, sie sprechen sich erstmals offen gegen einen Uferweg aus: „Wir werden weder einer Enteignung zustimmen, noch sind wir bereit, quer durch unsere Gärten auf eigene Kosten einen öffentlichen Uferweg zu errichten, noch sind wir an Gesprächen hierüber interessiert“, heißt es in der Erklärung, die auch an alle an den Sperren abgewiesenen Spaziergänger, Radfahrer und Jogger ausgereicht wird.

Darin ist weiter zu lesen, dass der 2,8 Kilometer lange Uferweg am Griebnitzsee – im Schreiben der Anrainer bewusst Kolonnenweg genannt – eine bundesweite Ausnahme sei. Überall habe die Bundeswehr nach der deutschen Wiedervereinigung die Kolonnenwege entfernt. Nur in Potsdam habe die Stadt sie davon abgehalten. Aber es habe keiner der Eigentümer „je zugestimmt, diesen Teil des ehemaligen Todesstreifens auf seinem Gartengrundstück zur öffentlichen Nutzung als Weg zu belassen“. Dennoch versuche die Stadt seit 17 Jahren, diesen „rechtswidrigen Zustand zu erhalten“. Wolle sie dies weiter tun, müsse sie ihren Bürgern auch sagen, dass Ankauf und Enteignung von Grundstücken sowie der Bau des Uferwegs einen zweistelligen Millionenbetrag kosten werde, heißt es in der Erklärung.

Ihre Namen nennen die Grundstückseigentümer in dem Schriftstück nicht – auch geht daraus nicht hervor, wie viele es sind, die sich „gegen die faktische Enteignung durch die Stadt Potsdam wehren“. Das müssen die Justiziare der Stadtverwaltung und der von der Stadt beauftragte Rechtsanwalt am Vormittag erst mit einem Gang durch die gesperrten Uferweg-Zonen herausfinden. Elf oder zwölf abgesperrte Grundstücke durchqueren sie, woraufhin die Männer vom Sicherheitsdienst die Polizei alarmieren. Hausfriedensbruch, so der Vorwurf, es soll Strafanzeige gestellt werden.

Die Verwaltungs-Juristen müssen das über sich ergehen lassen, und auch die Polizeibeamten können nichts gegen die Sperrungen tun. Denn die Rechtslage am Ufer ist auch nach jahrelangen Auseinandersetzungen nicht geklärt: Ob die Stadt das Recht hat, den Weg, den sie für öffentlich hält, wieder freizumachen, muss das Verwaltungsgericht entscheiden. So kann Polizeihauptkommissar Thorsten Kollenrott den Leiter der postierenden Sicherheitskräfte, Bernd Müller, lediglich bitten, „nicht mit Gewalt gegen Bürger vorzugehen“. Den ungehaltenen Spaziergängern rät Kollenrott, die gesperrten Bereiche des Uferwegs nicht zu betreten – sonst würden sie mit einer Strafanzeige zu rechnen haben. Für einen der am Flatterband Abgewiesenen ist die Lage klar: „Wer das Geld hat, hat die Rechtsanwälte und damit die Macht.“

Während die Polizei am Uferweg im Einsatz ist, werden im Stadthaus Krisensitzungen abgehalten. Die Uferweg-Sperrung habe ihn „kalt erwischt“, sagt Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) später vor der Presse. Doch die Aktion sei „ein von langer Hand geplanter Coup“. Das mache auch ein Beitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom Tage deutlich. „An diesem Montag werden einige Grundstücksbesitzer doch noch einmal versuchen, wieder Bewegung in den Konflikt zu bringen“, heißt es dort – eine Aktion mit Ansage also. Für Jakobs sind die Beweggründe der Anrainer allerdings völlig unverständlich. Die Gerichtsverfahren zur endgültigen Klärung der Lage liefen bereits seit Jahren, mit Entscheidungen sei 2008 zu rechnen. „Die Aktion ist vollkommen unangemessen.“ Dass wie die Anrainer behaupteten die von den Stadtverordneten verhängte Veränderungssperre für das Griebnitzsee-Ufer ausgelaufen sei, wies Jakobs zurück. Es sei im Jahr 2005 ein präzisiertes Bauverbot beschlossen worden, das bis Februar 2008 gelte. Dass dieses rechtens sei, habe das Oberverwaltungsgericht bestätigt. „Offenbar wollen die Anrainer die gerichtliche Entscheidung vorweg nehmen, in dem sie Fakten schaffen“, so Jakobs.

Fragen gibt es aber auch zur Rolle des SPD-Stadtverordneten und Griebnitzsee-Anrainers Wolfhard Kirsch. Vor einem Jahr sollte Kirsch aus der SPD-Fraktion ausgeschlossen werden, doch zur nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit fehlte damals eine Stimme. Kirsch hatte im vergangenen Sommer den Uferweg auf seinem Grundstück von drei Metern auf 90 Zentimeter Breite geschrumpft. Außerdem hatten SPD-Mitglieder ihm vorgeworfen, sich nicht eindeutig für einen öffentlichen Uferweg ausgesprochen zu haben. Inwieweit Kirsch an der gestrigen Aktion beteiligt war, blieb offen. Er selbst wollte sich dazu auf Anfrage nicht äußern. Nach Informationen von Oberbürgermeister Jakobs und SPD-Fraktionschef Mike Schubert hatte Kirsch den Weg über sein Grundstück nicht abgesperrt – allerdings hätten seine Nachbarn zu beiden Seiten dies getan. Jakobs sagte, dazu werde es „innerhalb der SPD Gespräche geben“.

Unstrittig ist für Jakobs auch nach der gestrigen Eskalation, dass es eine „Lösung im Einvernehmen“ geben müsse – wie bereits mit einigen Anrainern erreicht, die der Stadt ein Wegerecht einräumten und den Uferweg bereits näher ans Wasser verlegten. Zunächst solle nun der Bebauungsplan für den öffentlichen Uferpark Griebnitzsee von den Stadtverordneten beschlossen werden, so Jakobs. Dann habe die Stadt eine „eindeutige rechtliche Ausgangsposition“ und könne auch mit dem Bund, dem rund 50 Ufergrundstücke gehören, erneut über den Kaufpreis für diese verhandeln.

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