
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: „Da sind wir selbstkritisch“
SPD-Chef Mike Schubert über die Rathausbilanz, die Schmerzgrenze am Griebnitzsee und seine Distanz zu Jakobs’ Superlativen
Stand:
Folgt man der SPD, blüht und gedeiht Potsdam, ist alles bestens in der Stadt. Was soll diese Schönfärberei?
Dieses Bild malt so niemand. Wir sagen, dass vieles gut ist, weil es stimmt. Die Potsdamer leben gern hier und sehen, dass sich die Stadt positiv entwickelt. Aber wir wissen schon, dass nicht alles funktioniert. Wir Sozialdemokraten regieren seit 20 Jahren in diesem Rathaus. Und wer zuständig für die Probleme ist, kann auch die Erfolge für sich in Anspruch nehmen.
Nun läuft gerade in punkto Familienfreundlichkeit, dem zentralen Wahlkampfthema von Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), vieles nicht. Schulen sind marode, Hunderte Kita-Plätze fehlen, das Vergabesystem ist intransparent. Glauben Sie, dass man damit wirklich punkten kann?
Ja, bei allen Schwierigkeiten. Das Thema bewegt die Menschen. Man kann objektiv sehen, dass viel getan und investiert wurde – und was noch nötig ist. Man kann erklären, was für die kommenden Jahre angeschoben wurde, um Probleme zu lösen, etwa mit dem 120-Millionen-Programm zur Sanierung von Kindertagesstätten und Schulen.
Warum erst jetzt?
Nicht erst jetzt. Es ist seit den 1990er Jahren immer in Schulen und Kitas investiert worden – und es wurde teilweise richtig durchsaniert. Campus am Stern, die Oberstufenzentren oder Lenné- und Voltaire-Gesamtschule, das sind Sanierungsleistungen der letzten Jahre. Natürlich sehen die Gebäude, die noch nicht dran waren, zum Teil schlimm aus. Um die geht es beim Sanierungsprogramm. Das ist nicht der Anfang, es ist der letzte Schritt.
Potsdam hat Tausende Wohnungen gebaut, etwa im Norden. Es war klar, dass dort auch Kitas und Schulen gebraucht werden. Warum wird die „Schulbedarfsplanung“ erst jetzt angepasst?
Da sind wir selbstkritisch: Ja, die Planungen für Schulen und Kitas müssen besser mit der Stadtentwicklung abgestimmt werden. Das gilt nicht nur im Nordraum, sondern zum Beispiel auch in der Teltower und der Templiner Vorstadt. Hier entstehen in den kommenden Jahren viele neue Wohnungen. Da müssen wir zum Beispiel bei Kitas nachsteuern. Die Anträge dafür kamen in der Stadtverordnetenversammlung von der SPD.
Von SPD-Oberbürgermeisterkandidat Jann Jakobs waren vollmundige Versprechen zu hören: Familienfreundlichste Stadt soll Potsdam bleiben, fahrradfreundlichste Stadt und auch noch die mit der höchsten Kitaplatzdichte Deutschlands werden. Was soll diese Titel-Jagd?
Den Titel familienfreundlichste Stadt haben wir durch das Prognos Institut aufgrund eines Vergleichs mit anderen Städten in Deutschland erhalten. Klar, dass wir das bleiben wollen. Ich halte dennoch wenig von solchen Superlativen. Deshalb sind es auch nicht die Botschaften, die wir plakatieren. Wir wollen, dass sich die Menschen in der Stadt wohl fühlen. Dazu bedarf es keiner Preise. Wenn andere uns gut bewerten, ist das schön. In erster Linie aber muss es in Potsdam funktionieren.
Die Titel-Ambitionen kamen von Herrn Jakobs selbst.
Wenn andere uns gut bewerten, dann ist das auch ein Zeugnis für die Arbeit des Oberbürgermeisters. Daran will er sich auch in Zukunft messen lassen. Die SPD wird ihn dabei unterstützen.
Potsdam wächst, und es wird immer schwerer, bezahlbare Wohnungen zu finden. Wo ist der Ausweg?
Es gibt keine kurzfristige Lösung. Die Stadt wird jetzt Unterstützung vom Land bekommen, das erstmals seit Jahren wieder den Neubau von Sozialwohnungen fördert. Und die Stadt muss mit ihrer Pro Potsdam und möglichst preisgünstigem Baugrund selbst einen Beitrag leisten.
Doch gerade beim Wohnen geht die Kluft auseinander, hier Villen und Luxusappartments, da Platte. Droht der Stadt die soziale Spaltung, wie sie die Linke beschwört?
Ich glaube nicht, dass die Sorge bisher berechtigt ist. Man kann das auch herbeireden – oder eben positiv sehen: Potsdam ist eine Stadt, in der jeder nach seiner Fasson glücklich werden kann. Von Verhältnissen anderer Städte, wo es eine soziale Spaltung gibt, ist Potsdam weit entfernt.
Dennoch, die sozialen Gegensätze sind groß.
Natürlich müssen wir aufpassen. Es sollte in einem Stadtteil nicht nur Wohnungen in einem Preissegment geben. Das wäre in der Tat langfristig gefährlich. Mit Neubau in verschiedenen Preisgruppen und gezielter Wohnumfeldverbesserungen muss die Stadt dabei steuern.
Ganz praktisch: Wie macht man das?
Warum nicht auch mal in der Innenstadt auf einer Fläche – ja, die sind dort rar – Wohnungen für Menschen bauen, die sich die Innenstadt sonst nicht leisten können? Und warum nicht im Umfeld der früheren Neubaugebiete mal eine Einfamilienhaussiedlung ausweisen? Der Zuzug darf nicht nur in den Norden gehen.
Zu Stoßzeiten quälen sich die Blechlawinen durch die Innenstadt in Richtung der Ausfallstraßen. Hat die SPD neue Ideen gegen das Verkehrsdilemma?
Potsdam wird eine dritte Havelbrücke brauchen. Der Zuzug geht ja weiter, die Stadt wächst. Das wird dazu führen, dass wir noch mehr Pendler zwischen den beiden Seiten der Havel haben. Sicher, noch ist dies Zukunftsmusik. Aber: Die Rathaus-Kooperation hat sich ja geeinigt, nach Fertigstellung der Verkehrsführung am neuen Landtag eine Verkehrszählung zu veranlassen und daraus Schlüsse abzuleiten. Es wird eine Aufgabe sein, die wir in der zweiten Hälfte der Wahlperiode anpacken müssen.
Kommen wir zur Soziokultur: Die neue Jugendstudie kam zum Ergebnis, dass die künftigen Nutzer von „Freiland“ – die Clubs „S 13“ und „Spartacus“ – bei den Jugendlichen kaum einer kennt. War die Unterstützung der SPD für „Freiland“ falsch?
Das glaube ich nicht. Wenn wir mal drei Jahre zurückgehen, da waren „S 13“ und „Spartacus“ etablierte Einrichtungen. Der lange Zeitraum seitdem hat nicht dazu beigetragen, dass die Bekanntheit gestiegen ist. Ich habe da keine Sorge: Ich glaube, dass sich beide mit dem Engagement vor Ort wieder etablieren werden.
Das hat man an der Schiffbauergasse auch geglaubt. Nun stehen dort das Theater, die Reithalle, aber das Leben fehlt. Warum wirken alle Versuche, dies zu ändern, so hilflos, bleiben Erfolge aus?
Von Hilflosigkeit kann keine Rede sein. Wir haben ein Theater, das gut gestartet, aber momentan in einer Umbruchphase ist. Und das merkt man eben. Die Entscheidung für den Kulturstandort Schiffbauergasse war gut. Was noch fehlt, ist eine Gastronomie, die über die bestehenden Angebote hinaus von jedermann angenommen wird. Ein paar Kneipen mehr, wo man draußen am Wasser sitzen kann, könnte die Schiffbauergasse gut vertragen. Der Ort muss noch mehr zum Verweilen einladen.
In Potsdam gibt es eine berechtigte ausgeprägte Unzufriedenheit mit der Stadtverwaltung. Und die Klagen über den Amtsschimmel, über Willkür in der Bauverwaltung reißen nicht ab. Warum bekommt Jakobs das Problem nicht in den Griff?
Diese Generalkritik lehne ich ab. Sicher gibt es auch in Potsdams Verwaltung Probleme, die muss man klar benennen. Aber Potsdam ist eine der erfolgreichsten Städte Ostdeutschlands, vielleicht sogar die erfolgreichste Stadt. Trotzdem zeichnen einige ein Bild, wonach diese Verwaltung und der sie seit acht Jahren führende Oberbürgermeister Jann Jakobs rein gar nichts mit dieser Entwicklung zu tun gehabt haben soll. Man kann sich nicht rühmen, in einer boomenden Stadt zu wohnen und dann so tun, als habe man im SPD-geführten Rathaus in 20 Jahren alles falsch gemacht. Dann sähe Potsdam anders aus. Man muss die Kritik ernst nehmen, aber auch mit deutlicher Gelassenheit bei allzu pauschalen Aussagen.
Am Griebnitzsee hat die Stadtverwaltung über Jahre gepatzt. Nun bietet Potsdam für Bundesgrundstücke am Ufer drei Millionen Euro. Selbst wenn der Zuschlag käme, wäre der Uferweg nicht wieder frei. Ist ein Weg das ganze Geld, den juristischen Aufwand überhaupt noch wert?
Noch ist der Uferweg den Einsatz, das Geld wert. Der freie Zugang zum Wasser, das macht ein Stück Lebensgefühl aus, nicht nur für die Babelsberger, sondern für alle Potsdamer. Um Potsdam am Wasser entlang erleben zu können, spielt der Weg am Griebnitzsee eine entscheidende Rolle. Man sollte dieses Ziel nicht leichtfertig aufgeben. Aber man muss das immer wieder abwägen. Hier sollte es keinen Freifahrtschein geben.
Es ist möglich, dass Potsdam beim Bund leer ausgeht. Wäre das Anlass für ein neues Nachdenken?
Es bliebe dann nur noch der Klageweg über die Gerichte und die Enteignung gegen Entschädigung. Beides wird wahrscheinlich sehr teuer. Dann müsste man hinterfragen, wie viel uns der Weg wert ist. Es muss in einem sinnvollen Verhältnis stehen, kein Koste-es-was-es-wolle. Irgendwann ist der Punkt erreicht, wo es nicht mehr geht. Aber genau dies ist die perfide Strategie von einigen wenigen Anrainern, alles so teuer zu machen, dass die Stadt und damit die Allgemeinheit auf der Strecke bleibt.
Ein Blick ins Stadtparlament, auf die Zukunft der Rathauskooperation aus SPD, CDU, Grünen und FDP, die als Zweckbündnis gegen die Linke entstanden ist: Linke-Kandidat Scharfenberg hat eine Annäherung an die SPD nach der OB-Wahl angekündigt. Steht Potsdam vor einem Wechsel zu Rot-Rot wie im Land?
Die Diskussion über das Rathausbündnis gab es von Anfang an. Damals prophezeite man, dass es keine vierzehn Tage hält. Jetzt sind zwei Jahre vorbei. Die Kooperation ist stabiler als mancher glaubte. Jetzt gibt es zum ersten Mal aus dem Munde von Hans-Jürgen Scharfenberg Signale einer Entspannung. Das ist gut. Bisher war er ja ein Verfechter der Abgrenzung zur SPD. Ich habe das zur Kenntnis genommen, kann aber nur wiederholend sagen: Die SPD ist vertragstreu. Solange sich auch unsere Partner an den Vertrag halten, steht die Kooperation. Das hätte die Linke auch von uns erwartet, wenn wir einen Koalitionsvertrag mit ihr geschlossen hätten.
Es ist ein Bündnis gegen die Linken.
Vielleicht für die anderen, nicht für die SPD. Wir hatten auch der Linken nach der Kommunalwahl Gespräche über eine Koalition angeboten. Koalitionen sind keine Liebesheirat. Das ist mir persönlich wichtig: Mir ging es, als ich die Kooperation nach der Kommunalwahl vorschlug, um Stabilität und Berechenbarkeit im Stadtparlament. Der Dauerstreit und die gegenseitigen Blockaden sind uns alle noch in Erinnerung, sie taten der Stadt nicht gut. Nicht nur die Bürger, auch Vereine und Investoren fordern zu Recht, dass wir nicht heute so und morgen wieder anders entscheiden, sondern dass die Ziele der Stadt auch erkennbar sind. Und dies wird für die SPD weiter der Gradmesser sein. Wenn wir in der Kooperation anfangen, uns die Augen auszukratzen, wenn wir Wahlkampf auf Kosten des anderen machen, dann gerät das ins Wackeln. Man muss sich auch nach der Oberbürgermeisterwahl noch in die Augen gucken können.
Für die SPD ist die Vergangenheit des Linke-Kandidaten Scharfenberg als ehemaliger Stasi-IM im Wahlkampf kein Thema. Halten Sie sich die rot-rote Karte offen?
Die Vergangenheit von Hans-Jürgen Scharfenberg ist den Wählern nicht erst seit letztem Herbst, sondern seit den 1990er Jahren bekannt. Wir werden das nicht in den Mittelpunkt unserer Wahlkampagne stellen. Wir wollen mit Inhalten punkten. Aber auch die CDU-Oberbürgermeisterkandidatin thematisiert die Stasi-Vergangenheit des Linke-Kandidaten nicht, sondern trifft sich mit ihm zu Cocktail und Bier und gibt gemeinsame Interviews.
Sie weichen aus. Doch sind nicht die Schnittmengen zwischen SPD und Linken größer als mit den drei anderen, ja sehr verschiedenen Partnern, könnte die SPD nicht mit der Linken stabiler regieren?
Inhaltliche Schnittmengen sind auch zwischen SPD und Linken vorhanden. Und rein rechnerisch wäre diese Konstellation ebenfalls stabil. Aber es gibt eben immer auch den richtigen Zeitpunkt für eine Entscheidung. Als wir nach der Kommunalwahl die Gespräche mit der Linken führten, mussten wir konstatieren, dass dort eine Koalition nicht gewollt war. Die anderen Parteien dagegen standen uns aufgeschlossen gegenüber.
Jann Jakobs ist bereits acht Jahre Potsdams Oberbürgermeister. Was zeichnet seine Arbeit aus, warum sollte Potsdam weitere acht Jahre auf ihn setzen?
Jann Jakobs hat Potsdam seit den 1990er Jahren mitgeprägt. Als einziger der Kandidaten verfügt er über langjährige Verwaltungserfahrung in Kommunen. Und er weiß, was Potsdam ausmacht. Er kennt beide Seiten der Stadt – Platte und Schloss – und er setzt sich für beides gleichermaßen ein. Dabei hält er Kurs, auch wenn es mal schwierig wird. Und gerade bei den Finanzen wird es in den kommenden Jahren nicht leichter.
Wahltag ist der 19. September. Wie ist Ihre persönliche Prognose?
Ich gucke da selten in die Glaskugel. Wir kämpfen dafür, dass Jann Jakobs weiter Oberbürgermeister bleibt. Es würde mich freuen, wenn es gleich am 19. klappt. Wenn nicht, dann klappt es am 3. Oktober.
Das Interview führte Sabine Schicketanz
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