Landeshauptstadt: Dank für die „gekonnte Aufklärung“
Wie die Potsdamer Stasi im Jahr 1989 das Erstarken der politischen Opposition verfolgte
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„Mit tschekistischem Gruß“ beendete SED-Bezirkschef Günther Jahn ein Schreiben an den Bezirkschef der Staatssicherheit, Generalmajor Helmut Schickart. Darin dankt er für eine „gekonnte Aufklärung“. Tscheka war das Kurzwort für den unter Lenin begründeten sowjetischen Geheimdienst, dem die Stasi nacheiferte.
„Mit tschekistischem Gruß“ haben Reinhard Meinel und Thomas Wernicke auch ihre Dokumentensammlung von Berichten der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit Potsdam aus dem Jahr 1989 betitelt. In der Reihe „Umbruch 1989 – 1991“ sprach Wernicke jetzt im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte über dieses Buch, ohne dass die Kenntnisse über das Jahr des Mauerfalls in Potsdam ungleich geringer wären.
Im Auftrag des Runden Tisches hatten die beiden Autoren im Frühjahr 1990 Zugang zu einem Teil der Stasi-Akten erlangt, die auf dem Bornimer Windmühlenberg lagerten. Angesichts der Forderungen, den Zugang zu den Unterlagen einzuschränken und zu reglementieren, war Eile geboten. Meinel und Wernicke konzentrierten sich bei der Sichtung auf die Berichte der sogenannten Auswertungs- und Kontrollgruppe der Stasi. Sie betrafen vor allem als oppositionell eingeschätzte Gruppen, so die katholische „Arche“ um Rainer Roczen, den „Friedenskreis“ mit Pfarrer Martin Kwaschik, „Kontakte“ mit dem späteren Baustadtrat Detlef Kaminski an der Babelsberger Friedrichskirche oder „Argus“ um Carola Stabe und Saskia Hüneke, heute Stadtverordnete für die B 90/Grüne.
In hektische Betriebsamkeit versetzt wurde die Stasi durch die Maiwahlen und die Aufdeckung der Wahlfälschung durch Bürgergruppen. Sie startete eine Aktion „Symbol ’89“ zur Berichterstattung über den Wahlablauf, einschließlich der Erfassung sämtlicher Nichtwähler. Nach dem Urnengang sollten verstärkt „feindlich-negative Kräfte“ zur „ständigen Ausreise“ aus der DDR gedrängt werden. Neben ASTA (Antragsteller auf Ausreise), OV-Personen (die in einem „operativen Vorgang“ bespitzelt wurden), „Assis“ und Kriminellen werden in dem Aktenstück auch Alters- und Invalidenrentner genannt.
Zum ersten öffentlichen Höhepunkt der Demokratiebewegung wurde in Potsdam die Demonstration am 7. Oktober 1989 – laut Stasi eine „provokativ-demonstrative Zusammenrottung“. Da reagierte die Staatsmacht noch mit Härte und nahm 106 Personen fest, darunter peinlicherweise zwei unbeteiligte US-Bürger, die im Café „Heider“ ihren Kaffee tranken. Am 4. November 1989 musste sie dann schon die vom Neuen Forum angemeldete Kundgebung genehmigen, an der rund 20 000 – manche Quellen sprechen gar von fast 100 000 – Potsdamer teilnahmen. Die vor der Auflösung stehende Stasi fabrizierte darüber verlogene und fehlerhafte Berichte, weshalb die Autoren den an der Vorbereitung beider Demonstrationen beteiligten Bürgerrechtler Hartmut Mechtel um eine richtigstellende Kommentierung baten. Für den 19. November 1989 rief die SED dann zur Gegenkundgebung auf, zu der 6000 Teilnehmer kamen. Dabei stellte sich der damals neue SED-Bezirkschef, Heinz Vietze, „eindeutig vor die Schutz- und Sicherheitsorgane“.
Sein abgelöster Vorgänger Jahn war schon einen Schritt weiter. Er hatte bereits am 12. Oktober vor dem SED-Politbüro erklärt, im Bezirk Potsdam könne man „von vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen Partei und Volk zurzeit nicht mehr sprechen“. Auch die Stasi hatte aufgegeben. Am 23. November ordnete Schickart die „Reduzierung des Bestandes registrierter Vorgänge und Akten sowie weiterer operativer Materialien und Informationen“, sprich die Aktenvernichtung, an.
Wernicke, einst Fraktionschef des Neuen Forums in Potsdam, hat sich aus der aktuellen Politik zurückgezogen, ebenso dessen Sprecher Meinel, der als Naturwissenschaftler jetzt an der Uni Jena tätig ist. Dagegen absolvierte Vietze eine steile zweite Politik-Karriere. Die Dokumentensammlung über die Stasi im Jahr 1989 bleibt eine spannende Lektüre – und ist noch zu haben. Die Restbestände des Buches werden von der Brandenburgischen Landeszentrale für Politische Bildung angeboten. E. Hohenstein
E. HohensteinD
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