Von Juliane Wedemeyer: Das Dorf in der Stadt
In Babelsberg gibt es die meisten Babys Potsdams, Weberhäuschen und mondäne Villen
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Vier Haltestellen trennt die Potsdamer Innenstadt von Babelsberg. Aber wenn der Polsterer Horst Riemann morgens mit der Straßenbahn zur Arbeit fährt, kommt er jedes Mal in einer anderen Welt an. „Hier ist alles ein bisschen gemütlicher“, sagt er. Er steigt am Alten Rathaus aus, das jetzt ein Kulturhaus ist. Theatergruppen proben hier und regelmäßig treffen sich die Babelsberger zu Jazzabenden.
Drei Fußminuten entfernt, auf einem Hinterhof mit Blumenbeeten und Hundezwinger befindet sich Riemanns Arbeitsplatz, die RaumausstattungsFirma Fülbier. Seit 80 Jahren gibt es sie schon. Genau an dieser Stelle an der Karl-Liebknecht-Straße. Im Büro des Chefs Heino Jurisch hängt der Meisterbrief des Gründers. „Otto Fülbier aus Nowawes“ steht auf der Urkunde. Nowawes, so hieß Babelsberg, bevor es 1939 ein Teil Potsdams wurde. Nowawes klang den Nazis zu slawisch, darum wurde der Stadtteil genannt wie der Berg in seinem Park: Babelsberg.
„Ich sag immer Babelsdorf“, sagt Monika Köhler vom gleichnamigen Haushaltwarengeschäft gegenüber des Alten Rathauses, dort, wo die Karl-Liebknecht- Straße die Rudolf-Breitscheid-Straße kreuzt. Die Bürgersteige auf beiden Seiten sind breit genug für einen Grünstreifen mit Spielgeräten und Bänken. Neben dem Blumenkiosk kurz hinterm Rathaus liegen fünf Schulranzen auf dem Gehweg. Ihre Besitzer stehen auf einem Minikarussel am Wegrand und drehen sich. Sie lachen. Die Sonne scheint.
An den Tischen vor dem Imbiss nebenan essen Menschen zu Mittag. Kartoffelgratin mit Wirsing für 3,95 Euro. Wenn Monika Köhler aus dem Fenster schaut, kann sie sie sehen. In ihrem Schaufenster stehen kleine Porzellanosterhasen, Kannen, Töpfe und Pfannen. Auf den Stufen zur Ladentür hat sie Plastikschüsseln gestapelt, in einem Korb stehen Gläser mit Erdbeermarmelade. „Selbstgemacht“ hat sie auf ein Schild geschrieben. „Von meiner Schwiegertochter“, erklärt sie. Ein Euro kostet das Glas.
„Es ist recht idyllisch hier“, sagt sie. Und dann zeigt sie Fotos von früher. Die meisten sind noch schwarzweiß. Sie zeigen alle das selbe Motiv: die Karl-Liebknecht-Straße mit Köhlers barockem Geschäfts- und Wohnhaus. Auf einem steht Hermann Köhler davor, der den Laden 1903 eröffnete. Dort wo Monika Köhler mit ihrer Schwiegertochter Michaela und Sohn Ralf heute Geschirr verkauft, kochte, aß und schlief die Familie damals. Monika Köhler steht mitten im Laden und zieht mit ihrem Arm eine unsichtbare Wand. „Auf dieser Seite hatten sie ihr Geschäft und auf dieser haben sie gewohnt“, sagt sie. „Auf 40 Quadratmetern.“
Monika Köhler ist erst 1964 nach Babelsberg gezogen, nachdem sie Hermanns Enkel Peter geheiratet hatte. Das Foto aus dieser Zeit unterscheidet sich nicht groß von dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Und auch heute noch sieht die Fassade fast noch so aus wie vor 100 Jahren. „Aber die Kunden haben sich geändert“, sagt Monika Köhler. „Nach der Wende sind viele weggezogen, die Alten sind gestorben.“ Jetzt lebten lauter junge Familien in Babelsberg. In einem Regal stehen Kinderteller und Tassen.
22 000 Menschen wohnen hier. Nirgendwo in Potsdam bekommen die Einwohner mehr Kinder: 2007 wurden 273 neue Babelsberger geboren. Der Ortsteil hat die höchste Geburtenrate Potsdams. Die meisten der zugezogenen Familien stammen aus anderen Potsdamer Ortsteilen oder aus Berlin, erklärt Rainer Barz vom Sanierungsträger Stadtkontor. Es gibt ganze Viertel für sie. In der Alten Brauerei oder am Theodor-Hoppe-Weg, wo früher eine Gärtnerei ihre Gewächshäuser hatte, stehen heute ihre Reihenhäuser. Barz bezeichnet sie lieber als Stadthäuser. Und an die Rudolf-Breitscheid- Straße, gegenüber der S-Bahn-Linie, ist ein neues Wohngebiet mit modernen Mehrfamilienhäusern entstanden.
Auf dem Spielplatz dahinter treffen sich jeden Samstag die jungen Väter nach dem Frühstück. Mit Kaffeebechern in der Hand stehen sie im Kreis und sehen ihrem Nachwuchs beim Bolzen zu. Die Älteren treffen sich auf dem Samstagsmarkt auf dem Weberplatz. Hier zwischen Blumen-, Gemüse- und Wurstständen kennt jeder jeden. Hunde laufen ohne Leine und niemanden stört es. Babelsdorf eben. Und tatsächlich hieß Babelsberg früher schlicht Neuendorf – „nowa wes“ haben die böhmischen Weber den Ort genannt. Friedrich der Große hatte ihnen genau hier rund um den dreieckigen Platz kleine flache Häuschen mit spitzem Dach hingestellt. Und in die Mitte eine Kirche. Die Friedrichskirche. Ab und zu finden hier Konzerte statt.
Aber Babelsberg ist nicht nur Dorf, es gibt auch das andere, das mondäne Babelsberg. Es ist das Babelsberg, das auch in Hollywood bekannt ist. Brad Pitt, Nicole Kidman und Tom Cruise haben hier gedreht. Und früher die Stars der Ufa. In den Villen in der Karl-Marx- und der Virchowstraße waren sie zu Hause. Später wohnten auch Nazi-Größen dort und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die Vertreter der Siegermächte, die sich im Schloss Cecilienhof trafen, um Deutschland aufzuteilen. Manchmal scheint es, als nehme die geschichtliche Bedeutsamkeit Babelsbergs an dieser Stelle die Leichtigkeit. Dort am Griebnitzsee wirkt es dunkler. Die Bäume sind älter und größer als im ehemaligen Dorfkern. Sie werfen größere Schatten. Und die Häuser auch.
Juliane Wedemeyer
- Potsdam: Babelsberg
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