DICHTER Dran: Das Endspiel
Schon lange esse ich so gut wie kein Schweinefleisch mehr, überhaupt kaum noch Fleisch. Seit einer Woche habe ich es aufgegeben, Tomaten, Gurken oder Salat zu essen, und mittlerweile denke ich darüber nach, auch bei Erdbeeren vorsichtiger zu sein.
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Schon lange esse ich so gut wie kein Schweinefleisch mehr, überhaupt kaum noch Fleisch. Seit einer Woche habe ich es aufgegeben, Tomaten, Gurken oder Salat zu essen, und mittlerweile denke ich darüber nach, auch bei Erdbeeren vorsichtiger zu sein. Vielleicht werde ich diese Vorsicht auf alles natürlich wachsende Obst und Gemüse ausdehnen, egal ob aus Werder oder nicht. Die Version des derzeit wütenden Ehec-Bakteriums soll besonders gefährlich sein, vor allem für jüngere Frauen und Frauen mittleren Alters; Grund: unbekannt. Seit Wochen höre ich die Klage meiner Freundin, ihr japanischer grüner Tee ginge zur Neige. Die nächste Ernte ist bereits radioaktiv verseucht. Chinesischer Tee kann dieses leuchtend grüne Getränk japanischer Hochebenen nicht ersetzen, ihm fehlt die Frische. Sie versucht, auf Earl Grey umzusteigen, hat aber gelesen, dass das Ehec-Bakterium sich eventuell auch über Flugasche oder Sandstürme verbreiten könnte. Earl Grey ist also keine langfristige Lösung des Teeproblems. So fängt es an. Zunächst trinken wir eine Weile keinen grünen Tee mehr. Dann trinken wir eine Weile keinen Schwarztee mehr, dann trinken wir eine Weile gar nicht mehr. Man gewöhnt sich an alles, auch daran, dass alles immer weniger wird. Neulich war ich auf einer Party. Geladen waren Menschen aus der Theaterbranche, der Literaturbranche, den Medien. Die Sonne ging unter. Man stand auf der Dachterrasse mit Blick über Potsdam und rückte näher ans Grillfeuer, über dem argentinische Rindersteaks lagen. Die Dachterrassenbesitzerin hatte sie frisch und eingeschweißt im Koffer aus Argentinien ins Land geschmuggelt. Mit diesen Steaks fühlte ich mich gut. Sie schienen so gesund zu sein, dass nicht einmal die Labradors am Zoll etwas Auffallendes gerochen hatten. Zum Nachtisch gab es Weintrauben. „Die sind nicht gewaschen“, stellte auf einmal jemand fest, woraufhin all diesen aufgeklärten Leuten die Trauben aus den Händen fielen, ihre Gesichtern sagten, dass sie sich am liebsten den Finger in den Hals gesteckt hätten. Man ist heute immer nur noch einen harmlosen Satz vom Untergang entfernt.
Unsere Autorin Antje Rávic Strubel lebt und arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin in Potsdam. Für ihren 2007 erschienen Roman „Kältere Schichten der Luft“ erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen.
Antje Rávic Strubel
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