POSITIONEN: Das ewige Spannungsfeld
Zwischen Geschichte und Zukunft: Gedanken zur „Spurensuche“ in Dresden und Potsdam Von Anita Tack
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Wieland Niekisch, mein Potsdamer Landtagskollege von der CDU, hat sich nach Dresden auf den Weg gemacht und Vergleiche gezogen zwischen der brandenburgischen Landeshauptstadt hier und der sächsischen da. Das ist anregend erzählt – und, natürlich, reizt zum Widerspruch. Ich bin in Dresden geboren und aufgewachsen, mit 22 Jahren über Weimar, wo ich Städtebau und Regionalplanung studiert habe, nach Potsdam gekommen, und will mich gern an den Überlegungen zu Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen beiden Städten beteiligen. Zumal es scheint, dass in die Debatten um Potsdams Mitte und Potsdams Entwicklung insgesamt mit der Grundsatzentscheidung für den Landtagsneubau auf dem Schlossgrundriss ein wenig mehr Gelassenheit eingezogen ist.
Ich will daher hier diese Landtagsfrage nicht noch einmal aufrufen. Dass ich andere Lösungen vorgezogen hätte, ist in der Stadt kein Geheimnis, aber nun sind auf demokratischem Wege Entscheidungen gefallen, und weitere Debatten müssen von diesen Entscheidungen aus ihren Anfang nehmen.
Eine erste Überlegung soll Niekischs Gedanken im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche gelten. Dieser Wiederaufbau sei ihm – so heißt es im PNN-Artikel – ein „Symbol für Spendenbereitschaft, bürgerliches Engagement und Bekenntnis zur historischen Stadtmitte“, und er versuche, „diesen Geist auch in Potsdam einkehren zu lassen“. Das gelinge noch nicht richtig, weil Potsdam „durch den Sozialismus zu stark geprägt“ sei. Hier begegnet mir eine Art der Geschichtsbetrachtung, die mich beim Historiker Niekisch schon oft verwundert hat: Er blendet die unterschiedliche Rolle Potsdams und Dresdens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts völlig aus. Es ist doch nun einmal keine Frage irgendwelcher ideologischer Zuspitzungen, sondern der nüchternen Anerkennung von Fakten, wenn man konstatiert, dass in Potsdam 1914 ein Kaiser saß, der das deutsche Volk in den ersten Weltkrieg getrieben hat, und dass am „Tag von Potsdam“ im März 1933 Hitler von entscheidenden Teilen des preußischen Adels die Unterstützung für seinen verbrecherischen Kurs erhielt. Nein, indem ich dies feststelle, will ich nicht, wie oft geargwöhnt wird, den Abriss der Schlossruine in Potsdam durch die DDR-Führung beschönigen. Was ich will, ist, den Unterschied zwischen Potsdam und Dresden deutlich zu machen. Die Frauenkirche konnte zum Symbol für Spendenbereitschaft werden, weil niemand sie mit Militarismus und Kriegstreiberei in Verbindung bringen konnte. Aus dem gleichen Grunde übrigens ist der Dresdner Zwinger bereits im ersten Jahrzehnt der DDR glanzvoll restauriert worden – und schon damals hat die Dresdner Bevölkerung diesen Wiederaufbau mit unzähligen freiwilligen Aufbaustunden unterstützt. Gut erinnere ich mich, wie wir als Kinder die Erlöse aus Altstoffsammlungen für den Wiederaufbau des Dresdner Schlosses und die Semperoper gespendet haben.
Aber nicht jedem Wiederaufbau in Dresden stehe ich kritiklos gegenüber. Bei den Gebäuden rund um die Frauenkirche fehlt mir etwas, was ich zum Beispiel in Hiroshima gefunden habe und was mir den Platz mit der Gedächtniskirche in Berlin so wichtig macht: einen Ort der Mahnung, der erlebbaren Erinnerung an die Bombennacht. Wo ein solcher Ort fehlt, wird die Erinnerung daran ausgetilgt, dass es keine „überirdischen Mächte“, sondern Menschen waren, die Hitler an die Macht gebracht haben, Menschen auch aus Dresden und auch aus Potsdam, die ihn also unterstützt haben in seinen unverhohlenen Plänen für den Krieg und die Vernichtung der Juden. Und vergessen wird auch, dass diejenigen, die 1933 vor eben diesen Kriegsplänen gewarnt haben, verfolgt und umgebracht worden sind. Und so meine ich, wir sollten Sorge tragen, dass in der Potsdamer Mitte ein Ort der Erinnerung geschaffen wird. Auch eines Karl Liebknecht wäre da zu gedenken – des im „Kaiserwahlkreis“ Potsdam gewählten SPD-Abgeordneten, der sich 1914 als einziger im Reichstag dem Kriegswahn widersetzt hat. Und es ist nun einmal so: Ohne die beiden Weltkriege stünden Schloss und Garnisonkirche – und auch all die anderen Gebäude in Potsdams Mitte – noch immer in alter Schönheit da.
Ein zweiter Gedanke soll der architektonischen Moderne gelten. Ich werde auch weiterhin dafür streiten, dass wir in Potsdams Mitte mehr Mut zu dieser Moderne haben. Knobelsdorff, der großartige, hat doch auch nicht „retro“ gebaut! Er hat Altes mit Neuem verbunden, hat einem zukunftsgewissen Geist architektonische Gestalt verliehen. Und wie steht es mit diesem Geist heute? Da er sich doch allzu oft in die bloße Kopie des 18. Jahrhunderts zu flüchten versucht? Niekisch hat in Dresden die Moderne übrigens im dortigen Landtag gefunden. Da sind wir einer Meinung: Das ist ein gelungener Bau, ein Anbau an das Gebäude der SED-Bezirksleitung Dresden.
Und ein gelungener Bau der Moderne in Dresden ist mir auch die Neue Synagoge. Ich weiß, der Streit darum ist kein kleiner. Aber er lohnt sich, dieser Streit! Die Synagoge setzt Zeichen, mahnt und regt an und lädt ein zugleich. Und so wäre ich froh, wenn bei den Planungen für Potsdams Mitte der Neuen Synagoge der ihr gebührende Raum gewidmet würde. Sie gehört dort hin, diese Neue Synagoge, hier steht die öffentliche Hand in der Pflicht, und hier vor allem hat die von Niekisch geforderte Spendenbereitschaft Gelegenheit, sich zu entfalten.
Zum Schluss ein Satz zum Wohneigentum in beiden Städten. Dresden hat sich durch den Verkauf seines städtischen Wohneigentums schuldenfrei gemacht. Ich halte diesen Weg für falsch und finde es richtig, dass bisher in Potsdam nicht ähnliche Wege vorgeschlagen worden sind. Die öffentliche Hand hat die Pflicht, auch für all jene zu sorgen, die den Turbulenzen des privaten Wohnungsmarktes nicht gewachsen sind. Eine Stadt muss immer eine Stadt für alle sein, die in ihr leben. Das sollten wir in der Debatte um die Wiedergewinnung der Mitte nicht vergessen.
Anita Tack ist Landtagsabgeordnete der Fraktion Die Linke
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