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Landeshauptstadt: „Das geltende Recht ist gut genug“

Jugendstrafrechtler Wolfgang Mitsch fordert mehr Betreuung von Straftätern

Stand:

Herr Professor Mitsch, Deutschland diskutiert über Gewalt und das Jugendstrafrecht. Wie erleben Sie die Diskussion?

Mich interessiert diese Diskussion nicht. Es gibt keinen sachlichen Grund für die Vorschläge: Das geltende Jugendstrafrecht ist gut genug.

Also gibt es mit dem bestehenden Recht keine Schwierigkeiten?

Probleme gibt es bei der Anwendung des Jugendstrafrechts. Mit den bestehenden Gesetzen könnte man schon jetzt wahrscheinlich viel mehr erreichen, als das tatsächlich der Fall ist. Denn in der Praxis bietet das Recht große Gestaltungsspielräume – deren optimale Ausnutzung aber Geld kostet.

Können Sie dies näher erläutern?

Man muss sich um Kinder und Jugendliche, die straffällig geworden sind oder in der Gefahr schweben, straffällig zu werden, viel mehr „kümmern“. „Viel mehr“ bedeutet nahezu rund um die Uhr. „Man“ sind eigentlich die Eltern, die es aber oft aus den unterschiedlichsten Gründen nicht können oder nicht wollen. Also muss der „Staat“ übernehmen: Mit gut ausgebildetem Personal in etwa Schulen oder bei der Polizei – und mit vielen Einrichtungen zur Schulbildung oder für die Freizeit. Das kostet eine Menge Geld. Die Probleme in der Anwendung des Strafrechts lassen sich also nur lösen, wenn die Mehrheit der Bürger – also die Steuerzahler – bereit ist, sehr viel mehr Geld zu investieren.

Zwei Schlagworte kursieren aktuell: Der „Warnschuss“-Arrest und die Erziehungs-Camps. Was meinen Sie dazu?

Von einem „Warnschuss-Arrest“ halte ich nichts. Bei Erziehungs-Camps kommt es auf die Ausgestaltung an.

Was können Sie sich da vorstellen?

Jugendliche leben über Wochen und Monate in einer solchen Einrichtung und bilden zusammen mit den Leitern – den „Ersatzeltern“ – kleine Familien. Dabei üben sie, wie man den Alltag bewältigt, ohne Straftaten zu begehen. Das ist aber nicht neu, sondern wird schon lang praktiziert.

In der Diskussion gibt es regelmäßig den Vorwurf, dass Strafen zu lasch seien – so etwa bei einem 18-jährigen aus Potsdam, der wegen Totschlags im vergangenen Jahr zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Was denken Sie zu solchen Fällen?

Ich habe keinen Grund zur Annahme, dass in dem Fall geltendes Recht falsch angewendet wurde. Sieben Jahre Jugendstrafe sind mehr, als nach wissenschaftlichen Erkenntnissen für eine erfolgversprechende Erziehung im Strafvollzug nötig ist. Angehörige des Opfers wird diese Kommentierung wahrscheinlich nicht befriedigen. Das geltende Jugendstrafrecht nimmt aber auf die Perspektive der Opferangehörigen keine Rücksicht. Wer dies nicht für richtig hält, sollte einen begründeten Verbesserungsvorschlag machen.

Das Interview führte Henri Kramer

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