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Der Potsdamer Philosoph Matthias Schloßberger hat eine Einführung in die Geschichtsphilosophie publiziert
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Geschichte ist heute angesagt wie kaum je zuvor: Fernsehdokumentationen, aber auch Spielfilme mit historischem Hintergrund erfreuen sich hoher Einschaltquoten und die Bestsellerlisten werden in diesem Jahr von Titeln bestimmt, die rund um dem Ersten Weltkrieg kreisen. In der Geschichtswissenschaft setzt sich indes der Trend zu Detailstudien fort. In diesem Umfeld lassen die großen Fragen aufhorchen, denen sich Matthias Schloßberger in seinem schlicht „Geschichtsphilosophie“ genannten Buch nun widmet: Woher kommen wir? Wo stehen wir? Und vor allem: Wohin gehen wir?
Von „Geschichtsphilosophie“ kann gesprochen werden, so der 1972 geborene und als Philosoph an der Universität Potsdam lehrende Autor, wenn die Frage nach dem „Sinn der Geschichte“ gestellt wird. Darunter ist hauptsächlich die Frage nach einer bestimmten Richtung der Geschichte zu verstehen. Die Suche nach einem ordnenden Prinzip führt meist zu zwei möglichen Ergebnissen: Während bis heute viele zu dem Schluss kommen, dass Geschichte ein einmaliger, auf ein mehr oder weniger bestimmtes Ziel ausgerichteter Vorgang ist, gab und gibt es auch die Auffassung von Geschichte als Zyklus. Friedrich Nietzsches Rede von der „ewigen Wiederkunft des Gleichen“ ist hier wohl das prominenteste Beispiel in der Neuzeit. Wenn Geschichte keinen Anfang und kein Ende habe, dann kann sie auch kein festes Ziel haben. Beachtenswert ist die Vorstellung für Schloßberger dennoch, zumal nur eine stark vereinfachte Vorstellung von zyklischer Geschichte Fortschritt generell ausschließe.
Da es sich bei Schloßbergers „Geschichtsphilosophie“ um eine Einführung handelt, stellt er vor allem – gut lesbar und übersichtlich sowie mit Diskussionsvorschlägen und Hinweisen auf weiterführende Literatur versehen – die Bandbreite geschichtsphilosophischen Denkens von der Antike bis heute dar. Nachdem die das Mittelalter prägende christliche Heilsgeschichte ihre Wirkkraft verloren hatte, erreichte mit der Vorstellung des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831), dass sich in der Geschichte die Idee der Freiheit realisiere, die teleologische, also auf ein Ziel ausgerichtete, Geschichtsphilosophie einen Höhepunkt. Auch wenn sich Hegels Konzept bald als überholt erwies, durch die Transformation durch Karl Marx und Friedrich Engels entstand daraus das bis heute wirkungsmächtigste geschichtsphilosophische Konzept des Marxismus.
Was Schloßberger nun so manchem Historiker vorwirft, ist die Verwendung geschichtsphilosophischer Denkfiguren, ohne diese ausreichend zu reflektieren – oder gar der Verzicht jeglicher theoretischer Reflexion, wodurch Geschichtsschreibung zur rein chronologisch geordneten Aneinanderreihung zufälliger Ereignisse werde. Dass der Autor dabei mit der ausführlichen Betrachtung des Historismus eine Schule darstellt, deren Auswirkung bis heute reicht, macht sein Buch gerade auch für Historiker lesenswert. Wenn er den Konservatismus, der neben dem Liberalismus und der Sozialdemokratie von besonderer politischer Bedeutung war und ist, nur beiläufig behandelt, ist das schon deshalb bedauerlich, weil sich der Autor in der Vergangenheit immer wieder als profunder Kenner dieser widersprüchlichen Haltung erwiesen hat.
Mit Blick auf die Gegenwart bilanziert Schloßberger, dass der Abstand zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 noch zu gering sei, um deren historische Bedeutung bestimmen zu können. Deutlich machten sie jedoch, dass sie die holzschnittartige These vom „Ende der Geschichte“ von Francis Fukuyama als hinfällig erscheinen lassen. Daran anschließen lassen sich jedoch brisante Fragen: Ob die „Moderne“ tatsächlich durch eine Abnahme von Religiosität geprägt ist, aber auch, ob es sich bei der Darstellung des islamistischen Fundamentalismus als Gegenbewegung zur westlichen Säkularisierung nicht ebenfalls um eine zutiefst westlich geprägte Sichtweise handelt. Um sich solchen Diskussionen stellen zu können, ist ein universalistischer Blick auf die Geschichte notwendig. Und dieser kommt in der Tat schwerlich ohne jede „philosophisch reflektierte Theorie der Geschichte“ aus. Moritz Reininghaus
Matthias Schloßberger: Geschichtsphilosophie, Akademie Verlag 2013. 269 Seiten, 24,80 Euro.
Moritz Reininghaus
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