
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Das gute Leben der Marktfrau
Brigitte Krause verkauft seit Jahrzehnten auf dem Bassinplatz Obst und Gemüse. Am Sonntag ist sie 70 geworden.
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Es gehört zu den Freuden des Spätsommers, am Wochenende über den Markt auf dem Bassinplatz zu schlendern, die von Gemüse, Obst und Blumen überquellenden Stände zu betrachten, hier etwas zu kaufen, dort mit Bekannten ein Schwätzchen zu halten und die Atmosphäre zu genießen. Die Marktleute sind gut beschäftigt, sie wiegen, rechnen, packen ein, behalten die Käuferschlange im Blick. Märker sind freundlich, aber nicht besonders redselig. Man muss wochentags kommen, um mit den Händlern ein paar Worte mehr zu wechseln.
Eine von ihnen ist Brigitte Krause. Seit 46 Jahren verkauft sie hier Gemüse aus eigenem Anbau – bei Sturm und Regen, Hitze und Kälte, bei Fröhlichkeit und Herzeleid. Sie gehört, so könnte man sagen, auch ohne „von“ zum märkischen Land- und Marktadel, immerhin in der dritten Generation. In der Golmer Kirche wurde sie als Brigitte Stoof getauft, konfirmiert, dort heiratete sie, ließ ihre Kinder taufen und konfirmieren, feierte ihre Silberhochzeit.
Schon ihre Großmutter hielt Produkte vom Golmer Hof auf dem Alten Markt und dem Bassinplatz feil, damals neben Gemüse auch Fleisch, Milch und Blumen. Deren Schwiegertochter aus einer Glindower Obstzüchter-Familie, die als junge Frau noch mit einem Tragekorb voller Blumen nach Berlin gefahren war, um sie dort auf dem Markt zu verkaufen, trat in ihre Fußstapfen. Die 1943 geborene Tochter Brigitte mochte das Markttreiben schon als kleines Mädchen. Ein ums andere Mal bettelte sie, die Mutter auf den Markt begleiten zu dürfen, und ging dafür freiwillig zeitig zu Bett. Denn Marktleute müssen früh aufstehen, ob im Sommer oder Winter: den Wagen mit den frischen Waren beladen, die Fahrt nach Potsdam, den Stand aufbauen und ab sechs Uhr die Kunden bedienen. Das Mädchen packte zu Hause tüchtig mit an, das verstand sich damals von selbst.
Nach der Mittelschule und einer abgeschlossenen Lehre zum Industriekaufmann begegnete ihr auf dem Tanzboden die Liebe in Gestalt des Autoelektrikers Heinz Krause aus Grube. In den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts heiratete man früh; sie war zwanzig, er zweiundzwanzig. Bald vervollständigten eine Tochter und zwei Söhne die junge Familie auf dem Golmer Anwesen.
Der Tod von Vater Stoof im Jahr 1966 zwang zu Veränderungen, wenn man den Hof nicht aufgeben wollte. Kühe, Schweine, Enten, Gänse und Hühner wurden nach und nach abgeschafft, und die 24-jährige Brigitte beschloss, den Stand auf dem Bassinplatz allein zu betreiben, während ihre Mutter sich nun um Haushalt und Kinder kümmerte. Heinz Krause brachte seine Frau und die Waren zum Bassin, bevor er den Arbeitstag im VEB Kfz-Instandsetzung begann. Da der Bedarf an Obst und Gemüse das Angebot weit überstieg, war oft schon bis acht Uhr alles verkauft, und die nächste Schicht auf dem Gemüsefeld und im Haus konnte beginnen. Technische Hilfsmittel waren in der DDR rar, vor allem für einen kleinen Privatbetrieb. Die junge Frau schleppte schwere Kisten, grub mit dem Spaten die große Fläche um, brachte Mist aus, pflanzte, erntete. Das ging auf den Rücken. Jahrelang warteten Krauses auf die bestellte Bodenfräse. 1989 kam endlich die Lieferzusage und – die Wende. Da wurde dann gleich ein modernes Gerät angeschafft.
Mit der Wende änderte sich auch auf dem Markt einiges, vor allem das Angebot. Statt wie bisher an vier, konnte man jetzt an sechs Tagen dort einkaufen, auch am frühen Nachmittag gibt es noch Obst und Gemüse der Jahreszeit. Neue Anbieter stellten sich ein, der Textilmarkt etablierte sich. Das Schild „Für Fahrräder und Hunde verboten“ verschwand. Die Hunde finden das schön, die Händler weniger. Die Solidarität unter den Marktleuten ist geblieben – wenn der Sturm einen Schirm davonträgt, wenn einer einen runden Geburtstag feiert, die Aushilfe, wenn dem Nachbarn Petersilie oder Bohnenkraut ausgegangen sind oder er mal kurz den Stand verlassen muss.
Seit er Rentner ist, steht Heinz Krause seiner Frau an den Wochenenden auch beim Verkauf zur Seite. Meist spielt nur ein verschmitztes Lächeln um seine Lippen, während sie freundlich und konzentriert das Wort führt. Ihr sagenhaftes Gedächtnis lässt sie weder beim Kopfrechnen noch bei den Kunden im Stich. Sie kennt viele beim Namen, weiß, was sie mögen, sieht ihnen ihre Sorgen an. Da eine kurze Nachfrage, dort ein mitfühlendes Wort, den Kindern drückt sie einen Apfel in die Hand. Niemand merkt der kleinen zierlichen Frau mit dem weißen Haar den lädierten Rücken und die schmerzenden Hände an. Mühe und Arbeit ist ihr Leben, nicht frei von Schicksalsschlägen. Es ist im tiefsten Sinne ein gutes, ein sinnerfülltes Leben, denn sie tut gern, was sie tut. Man spürt es.
Seit einigen Jahren steht Brigitte Krause nur noch an vier Tagen auf dem Markt. Immerhin jeweils zehn Stunden, neben der Arbeit zu Hause. Sie wird die letzte Marktfrau aus ihrer Familie sein. Kinder und Enkel haben andere Wege eingeschlagen. Am 8. September feiert sie ihren 70. Geburtstag und im Oktober goldene Hochzeit – natürlich in der Golmer Kirche. Sigrid Grabner
Sigrid Grabner
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