Landeshauptstadt: „Das Höchste, was es gibt“
Der Potsdamer Holger Albrecht ist Kampfrichter bei den Olympischen Spielen
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Was Holger Albrecht da auf dem Papier notiert, sieht schon sehr chinesisch aus. Jedenfalls sind die kringeligen Zeichen für den Normalsterblichen genauso wenig lesbar. Aber es ist nur Fach-Chinesisch, wie sich herausstellen wird. Doch dazu später mehr. Heute fliegt Holger Albrecht nach Peking. Denn der 49-jährige Potsdamer ist Olympia-Kampfrichter. Und nicht irgendeiner: Der Sporttherapeut der Heinrich-Heine-Klinik in Neu Fahrland leitet die achtköpfige Richterriege, die die Turner am Reck – darunter auch Weltmeister und Olympia-Favorit Fabian Hambüchen – bewerten wird.
„Olympia ist für einen Kampfrichter genauso wie für die Sportler das Höchste, was es gibt“, sagt der Potsdamer über seinen China-Einsatz. In seinem Büro in der Heine-Klinik hängen Plakate von Wettkämpfen, bei denen er bisher gewertet hat. Seit fast zwanzig Jahren hat Albrecht die internationale Kampfrichterlizenz. Regelmäßig muss er dafür neue Prüfungen ablegen. Beim Deutschen Turnerbund ist der Potsdamer für die „Kampfrichterei“ zuständig, organisiert bundesweit Aus- und Fortbildungen, als Kampfrichter ist er an mindestens 20 Wettkämpfen im Jahr beteiligt – alles ehrenamtlich neben seiner Arbeit in der Klinik. „Ohne die Unterstützung meines Klinikleiters Rainer Grimm wäre das gar nicht möglich“, sagt er. 1997 war Albrecht zum ersten Mal bei einer Weltmeisterschaft dabei, 1998 dann die erste EM. Peking soll die Olympia-Premiere werden. „Das ist ein langer Weg“, sagt Albrecht und klingt ernst. Der Sportpädagoge und zweifache Vater wirkt gründlich, korrekt und bestens vorbereitet. Wie man es von einem Richter erwartet.
Lächeln muss er allerdings, als er die Zeichnung mit den Olympia-Uniformen zeigt: Der bieder wirkende Anzug mit Jacket in eingestaubtem Himmelblau und violetter Krawatte scheint aus einer anderen Zeit zu stammen. Anprobiert hat Albrecht die Kombination noch nicht: Die Kleidung bekommt er erst in Peking ausgehändigt.
Im November 2007 erreichte den Potsdamer der Brief, in dem er erfuhr, dass er dabei sein soll, wenn 98 Gerätturner in der 20 000-Zuschauer-Halle im Neubau-Komplex um das so genannte „Vogelnest“ in Peking gegeneinander antreten. „Ich habe schon damit gerechnet“, gibt Albrecht zu. Schließlich hat der Potsdamer bei einer internationalen Prüfung als einer der 24 besten Kampfrichter weltweit abgeschnitten.
Und excellent muss der Potsdamer auch sein: Denn beim Wettkampf muss er innerhalb von Sekunden entscheiden. Spätestens, wenn die Fernsehsender die Wiederholung in Zeitlupe übertragen haben, müssen die Noten vorliegen. Während der anderthalb Minuten, die eine Reckübung normalerweise dauert, muss Albrecht also genau hinsehen – und mitschreiben. Auf den Wertungsbögen verwendet er deshalb die kringelige Stenoschrift für die verschiedenen Turnelemente. Gleichzeitig muss er die Elemente verschiedenen Gruppen zuordnen und ihren Schwierigkeitsgrad einschätzen: Für die einfache Ringfelge gibt es beispielsweise ein A, für den Doppelsalto rückwärts über die Stange mit einer ganzen Längsdrehung dagegen ein F. Für die Endwertung zählen nur die zehn schwierigsten Elemente einer Übung. Seine Wertung muss der Potsdamer mit seinem Co-Mann abstimmen. „In Peking wird das ein Südkoreaner sein“, sagt Holger Albrecht: „Ich hoffe, er spricht Englisch.“ Sechs B-Richter bewerten gleichzeitig die Ausführung der Übungen.
Große Überraschungen gibt es bei den Wettkämpfen allerdings kaum noch für die Richterriege: Denn Albrecht ist schon beim Training dabei, wenige Tage vorm Wettkampf gibt es außerdem das so genannte „Podiumstraining“, eine Art Generalprobe, bei der die Kampfrichter ihre Wertungen abgeben. Für die Sportler und deren Trainer ist das die letzte Möglichkeit, ein Paar Hinweise zu ihren Übungen zu bekommen.
Dass er auch deutsche Turner bewerten muss, sieht der Potsdamer als Herausforderung: „Das ist ein Spagat“, gibt er zu. Engen Kontakt zur deutschen Mannschaft wird es abseits von Training und Wettkampf nicht geben. Denn die Richter sind nicht im olympischen Dorf untergebracht, sondern in einem Hotel in der Stadt. Auch wenn er Fabian Hambüchen alles Gute wünscht – als Kampfrichter müsse er sich natürlich strikt an die Gesetzlichkeiten halten und unparteiisch bleiben, erklärt Albrecht. Schließlich hat er oft genug erlebt, dass seine Arbeit im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit steht. Wie bei den Europameisterschaften im Schweizerischen Lausanne in diesem Jahr: Nach dem Sturz eines Schweizer Turners habe er die Übung abbrechen müssen – unter dem Pfeifkonzert der Zuschauer in der Halle. „Da sitzt man da mit einem feuerroten Kopf und das Hemd wird leicht feucht“, erinnert er sich. „Aber es war regelkonform.“
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