Aus dem GERICHTSSAAL: „Das ist mein Kind, du Schlampe, ich hole es mir jetzt!“
Im Vollrausch junge Mutter in Angst und Schrecken versetzt / Prozess wird am 12. September fortgeführt
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Ihre Zeugenaussage kostet Karina K.* (31) viel Kraft. Vor Gericht muss die zweifache Mutter erneut die schrecklichen Geschehnisse des 15. September 2005 Revue passieren lassen, deretwegen sie sich noch heute in psychologischer Behandlung befindet. „Ich war alleine in unserer Erdgeschosswohnung in der Pappelallee, hatte meinen kleinen Sohn auf dem Arm. Da hörte ich draußen Krach. Ich schaute aus dem Fenster und sah den Angeklagten, wie er herumbrüllte, torkelte, gegen ein Auto trat und unseren Fahrradanhänger in den Graben warf.“ Karina K. ging vor die Tür, bat den Randalierer, er möge das Weite suchen. „Da sagte er ganz klar: Das ist mein Kind, du blöde Schlampe, das hole ich mir jetzt.“ Voller Panik sei sie zurück in die Wohnung geeilt, habe die Tür geschlossen, überall das Licht gelöscht und sich mit dem wie am Spieß schreienden Sohn ins fensterlose Bad geflüchtet. Doch der offenbar stark Betrunkene sei um das Haus geschlichen, habe gegen die Eingangstür getreten und einen Holzpflock in ein Fenster geschmettert, schluchzt die Zeugin. Als der Lebensgefährte von Karina K. mit seinem Auto auf den Parkplatz einbog, hörte er Gegröle, sah dann, wie das Motorrad eines Nachbarn umkippte. „Ich lief mit unserer Tochter in die Wohnung. Da flogen mir schon die Splitter um den Kopf“, erzählt der 38-Jährige im Zeugenstand. Durch das nunmehr kaputte Fenster habe der Angeklagte gerufen: Ich kriege deine Frau.“
„Kennen Sie die Zeugen?“, fragt die Richterin den Angeklagten. Ralf R.* (41) schüttelt den Kopf. „Ich hatte sie vorher noch nie gesehen. Ich weiß ja nicht mal einmal mehr, wie ich an diesem Tag in die Pappelallee gekommen bin.“ Sicher könne er nur noch sagen, dass er zuvor Streit mit seiner Lebensgefährtin hatte, ein Bier zu Hause, dann ganz viele in einer Gaststätte trank. „Meine Erinnerung setzt erst am nächsten Morgen wieder ein“, so der Langzeitarbeitslose. Ralf R. gibt zu, Alkoholiker zu sein, gegenwärtig eine ambulante Therapie zu absolvieren. Er ist vielfach vorbestraft, u. a. wegen Trunkenheit im Straßenverkehr, Widerstandes gegen Polizeibeamte, Beleidigung, Körperverletzung, Unfallflucht, Sachbeschädigung, mehrfach wegen vorsätzlichen Vollrausches. Dies legt ihm die Staatsanwaltschaft auch im aktuellen Fall zur Last.
„Der Herr hat bestimmt nicht mehr realisiert, dass wir von der Polizei sind“, erinnert sich Udo H. (38). „Als wir eintrafen, ging er gleich auf meinen Kollegen los, so dass wir ihm Handfesseln anlegen mussten. Ich habe einen Tritt gegen den Kopf abbekommen.“ Ralf R. musste in die Gewahrsamszelle getragen werden. Die ihm hier entnommene Blutprobe wies 3,30 Promille auf.
Zur Tatzeit könne der Angeklagte rein theoretisch eine Blutalkoholkonzentration von 3,68 Promille gehabt haben, errechnet Rechtsmediziner Dr. Jörg Semmler (55). Für einen Alkoholiker bedeute dies nicht zwangsläufig einen Vollrausch. „Aber hier lag wohl eine totale Realitätsverkennung vor“, führt der Gutachter aus.
Der Prozess wird am 12. September fortgesetzt. (*Namen geändert.) Hoga
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