Schicksalsjahr der Weltgeschichte: Das Jahr 1917 im Blick der Militärhistoriker
„Die Geschichte wiederholt sich nicht“, sagt der Militärhistoriker Hans-Ulrich Thamer bei einem Festvortrag im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialforschung der Bundeswehr (ZMSBw). Hans Ehlert, ebenfalls Historiker, war bis zum März 2010 Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA), aus dem das ZMSBw hervor gegangen ist.
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„Die Geschichte wiederholt sich nicht“, sagt der Militärhistoriker Hans-Ulrich Thamer bei einem Festvortrag im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialforschung der Bundeswehr (ZMSBw). Hans Ehlert, ebenfalls Historiker, war bis zum März 2010 Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA), aus dem das ZMSBw hervor gegangen ist. Zu seinem 70. Geburtstag ehrte ihn nun das Amt, indem es das vergangene Jahrhundert Revue passieren lässt.
„Die Polarisierung des kalten Krieges hat sich schon im Jahr 1917 angedeutet“, so Thamer. Vor genau 100 Jahren seien wichtige Weichen für das dann folgende Jahrhundert gefallen. Erst heute, nach der Jahrtausendwende, sei eine geschichtliche Periode zu Ende gegangen, die damals ihren Anfang genommen hätte. „Trump setzt fort, was Obama angefangen hat. Die USA zieht sich voraussichtlich als Weltpolizist zurück“, so Thamer. Dies geschehe wahrscheinlich, weil die USA schlicht ökonomisch nicht mehr in der Lage seien, an verschiedenen Ecken der Welt Krieg zu führen. Dennoch ende damit eine Entwicklung, die das vorhergehende Jahrhundert bestimmt hätte.
Denn im Jahr 1917 traten die USA unter Präsident Woodrow Wilson in den Ersten Weltkrieg ein. Damit beendeten sie, gemäß Thamer, eine Linie, die Jahrhunderte lang die Außenpolitik bestimmt hatte. Kriege der USA seien fortan nicht mehr nur um der Landesverteidigung willen geführt worden, sondern auch, um staatliche Interessen durchzusetzen.
Auf der entgegengesetzten Halbkugel der Erde begann allerdings eine Entwicklung, die in eine ganz andere Richtung zeigte, wie Thamer ausführte. Nachdem sich die Bolschewiki die Kriegsmüdigkeit des russischen Volkes und die Halsstarrigkeit des Zaren zugute gemacht und im Zuge der russischen Revolution die Macht an sich gerissen hatten, sollte sich der Sozialismus wenigstens in einem Land der Welt durchsetzen – auch wenn Trotzki immer noch darauf beharrt habe, dass an sich nur die Weltrevolution alle Übel des Kapitalismus beseitigen könne. Damit sei eine Polarisierung der Welt festgeschrieben worden, die sich bis zum Jahre 1989 fortsetzen sollte, so Thamer. Erst die Auflösung der Blockkonfrontation des Kalten Krieges schuf völlig neue politische Konstellationen. „Aber auch die sind nicht eindeutig. Wohin die Reise geht kann heute niemand genau sagen“, so Thamer.
Auch hätte sich 1917 eine Entgrenzung staatlicher Gewalt gezeigt, die dann im Zweiten Weltkrieg ihren Höhepunkt gefunden habe, meint Thamer. Der erste Völkermord durch die Deutschen am Volk der Herero sei bereits geschehen. Das osmanische Reich sei dabei, das Volk der Armenier zu massakrieren. Giftgaseinsatz an den Fronten des Ersten Weltkrieges und eine erstmals in der Menschheitsgeschichte auch in den Luftraum verlagerte Kriegsführung hätten nicht nur Millionen von Toten auf allen Seiten produziert, sondern dem Krieg auch eine neue Qualität vermittelt.
Mit dem Ende des Krieges habe sich dann eine Polarisierung auch innerhalb der Völker etabliert. Radikale Rechte standen revolutionär oder sozialdemokratisch gesinnten Bürgern gegenüber. Straßenschlachten zwischen verfeindeten politischen Lagern seien keine Seltenheit gewesen. Das Misstrauen gegenüber der „Lügenpresse“ habe sich erstmals Bahn gebrochen. „Wenn die Presse als Kontrollorgan der Politik nicht mehr geachtet wird, ist das fatal und schadet der politischen Kultur“, so Thamer. Diese Tendenz sei auch heute zu beobachten. Dementsprechend sei das Schicksalsjahr 1917 gar nicht so weit weg.
Richard Rabensaat
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