Landeshauptstadt: Das Leben war ärmlich

Frilles Buch über Alltagsleben im alten Potsdam Falls junge Leute im Buch von Peter Frille „Weißt du noch?“, das derzeit in den Buchhandlungen ausliegt, blättern, dürften sie sich über ihre Altersgenossen von siebzig achtzig Jahren wundern. Eine fremde Welt. Da steht die 17-jährige Else mit der Hakenkreuzfahne im dunklen gesprenkelten Kleid vor einer Parkbank. Ihre Zöpfe baumeln über den Schultern. Das Gesicht ist freundlich, der Ausdruck ein wenig ironisch, darin gleicht die Jugendliche von 1933 – am „Tag von Potsdam“ – vielleicht den heutigen. Der Autor hat alte Menschen gefragt, wie es damals in Potsdam war. Herausgekommen sind kurze meist banale Berichte über den Alltag in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die Geschichten zeichnen ein Bild vom größtenteils ärmlichen Leben jener Jahre. Bettler zogen durch die Straßen und hinterließen an den Haustüren ihre Symbole in der „Zinkersprache“. Die Rede ist zum Beispiel von einem ehemaligen Arbeiter einer Spinnerei in Nowawes, der zu den „organisierten Berufsbettlern“ zählte. An einem „Bettler-Institut“ habe er extra eine Ausbildung gemacht, heißt es. Als Kriegsversehrter zog er bettelnd durch die Breite Straße und klopfte an die Türen. Wenn jemand öffnete, fragte er: „Haben Sie nicht ein kleines bisschen zu essen?“ Er bekam einen Kanten Brot. So war das damals. Freischwimmerprüfungen in der Havel beschreibt Frille ebenso wie die Deutschen Abende im Gesellschaftshaus oder die Konfirmation in der Nikolaikirche. Die Geschenke, welche die Konfirmandin Edith in Empfang nahm, sprechen Bände: Blümchen, Schlüpfer, Strümpfe, Taschentücher und die von der Eingesegneten gewünschte weiße Schürze, die sie für ihre Stellung als Hauswirtschaftsmädchen bei einer Offiziersfamilie später unbedingt brauchte. Günter Schenke Peter Frille: „Weißt du noch? – Geschichten und Anekdoten aus dem alten Potsdam“, 80 Seiten, 9,90 Euro ISBN 3-937924-10-8

Günter Schenke