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Homepage: Das Lob der Mischung
Die Karibik als Kultur- und Sprachraum
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„In der Karibik haben sich schon sehr früh Völker und Sprachen gemischt. Das entspricht dem, was wir heute Globalisierung nennen“, stellt Ottmar Ette, Professor für französische- und spanische Literatur an der Universität Potsdam fest. Das „Zusammenleben neu erfinden“ wollte eine international besetzte Konferenz in Potsdam, in deren Fokus Literatur aus der Karibik und deren Umfeld gestanden hat. Außer Französisch, Spanisch und Englisch gebe es noch gut 100 weitere Sprachen im karibischen Raum, weiß Ette. Teilweise aus Afrika, aber auch aus dem asiatischen Raum importiert, habe sich in der Karibik ein einzigartiger Sprachraum gebildet: „Das ist sehr fruchtbar für die Literatur dort, auch wenn am Anfang Gewalt und Sklavenhandel stand“. Vier Nobelpreisträger seien in den vergangenen Jahrzehnten aus der Karibik hervorgegangen, das seien in dem eher überschaubaren Gebiet vergleichsweise viel.
„Die Kultur dort ist extrem dynamisch“, stellt Ette fest. Wenn in einer Familie sowohl spanische, englische wie auch Vorfahren der Maya existieren würden, so ergebe sich daraus ein kreatives Potenzial, das beispielhaft für heutige Globalisierungsprozesse sein könne. Auf die Besonderheiten der karibischen Literatur weist auch die Mitarbeiterin am Institut für Romanistik Gesine Müller hin. Autoren wie Garcia Marques oder Raphael Confiant würden mit einer ganz eigenen Stimme von der Geschichte des Insel-Archipels erzählen. Raphael Confiant veröffentlichte seinen ersten Roman in seiner kreolischen Sprache. Die hat sich im karibischen Raum aus der Mischung verschiedener indigener Dialekte mit eingeführten Sprachen wie Französisch und Englisch gebildet. Des Englischen und Französischen durchaus mächtig, bestand Confiant dennoch auf seiner Identität. Denn die ist gerade durch die kulturelle Mischung der verschiedenen Ethnien und Völker in der Karibik gekennzeichnet. Das zwang ihn allerdings, seinen ersten Roman zunächst im Selbstverlag heraus zu geben.
Müller findet es spannend, die Karibik als „Ort der Theorieproduktion“ in den Romanen von Confiant zu entdecken. In der Schilderung von Rassismus, Sklaverei und dramatischen Einzelschicksalen spiegele sich die Geschichte der Region. Aber die Bücher Confiants seien auch ein „Lob der Mischung“, entsprechend einem Buchtitel Confiants: „Lob der Kreolität“. Der Autor zeige beispielhaft, dass heutige Literatur Historie differenzierter reflektiere, als das früher der Fall gewesen sei.
Das Lob der Mischung rappte auch Lucio Yaxon alias NIM in seiner Heimatsprache Cachiquel, einer Mayasprache aus Guatemala. Von dort musste der Rapper aufgrund der politisch instabilen Situation fliehen. Nun artikuliert er in seiner Muttersprache seine kulturelle Identität. Damit ist er Vorbild für andere Musiker, die ebenfalls in kreolischem Dialekt rappen. Die Karibik sei an sich ein „peripherer Ort“, so Ette. Über das Internet und andere Medien würden aber auch dort „Flüsse von Wissenstransfer“ fließen, konstatiert die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Ana Pizarro. So ergebe sich eine „Transkulturalität“, bei der die jeweiligen kulturellen Eigenheiten nicht abgeschottet nebeneinander stünden, sondern sich gegenseitig bereichern würden.
In ihrem Vortrag befasste sich Pizarro auch mit dem Fund von 80 Millionen Karteikarten, die in Guatemala seit 1930 vom dortigen Geheimdienst beschriftet worden waren. Der Genozid an den einheimischen Maya und anderen indigenen Völkern ist dort akribisch verzeichnet. „Wie die Völker in dem Raum trotz so einer Vergangenheit zusammen leben, kann auch beispielhaft für heute sein“, bemerkt Ette. Den Dialog mit der Karibik fördert auch der Alexander von Humboldt Lehrstuhl an der Universität von Costa Rica, den Ette in San José gegründet hat und der jeweils für zwei Jahre von wechselnden Forschern besetzt wird.
Im Anschluss an die Konferenz stellte Ette sein Buch: „Roland Barthes – zur Einführung“ vor. Er beschreibt darin den Philosophen als einen Wissenschaftler der „LebensZeichen“. Sprache und Leben habe Barthes zwar nicht als eines gesetzt. Aber Sprache und Literatur seien für ihn „Möglichkeiten zur Intensivierung des Lebens und zur Vervielfältigung der Wahrheit“, gewesen. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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