Homepage: Das Maß der Würde
Eine Tagung an der Universität zur Menschenwürde
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Eine Tagung an der Universität zur Menschenwürde Herr Dr. Pollmann, was macht heute die Idee der Menschenwürde aus? Diese Frage ist durch die biotechnologischen Entwicklungen der vergangenen Jahre neu aufgeworfen worden. Eigentlich haben wir es dabei mit zwei philosophischen Problemen zu tun. Die zentrale Frage ist, wer überhaupt diejenigen sind, denen Würde und Würdeschutz zukommen. Dies setzt jedoch die Beantwortung der Frage nach dem konkreten Inhalt der Würdeidee voraus. Erst wenn wir wissen, was genau Würde ist, können wir im zweiten Schritt klären, wer die Bedingungen erfüllt, zum Kreis jener zu zählen, denen Würdeschutz zuzusprechen ist oder nicht. Gehören nicht alle Menschen zu diesem Kreis? Sehr lange ist man davon ausgegangen. Doch eben das ist fraglich geworden, als zunehmend „Vorformen“ menschlichen Lebens ins Blickfeld geraten sind, bei denen man nicht mehr genau sagen konnte, ob auch ihnen bereits Menschenwürde und deren unbedingter Schutz zukommen. Man denke hier etwa an künstlich befruchtete Embryonen, die in den Tiefkühlschränken medizinischer Labors „verwaist“ sind. Dass überhaupt Embryonen zum Kreis menschlicher Lebensformen zählen, ist vor gut 20 Jahren noch keineswegs selbstverständlich gewesen. Im Zuge der Abtreibungsdebatte sprachen viele noch von „Zellklumpen“. Wer in der heutigen Debatte ernst genommen werden möchte, kann das nicht mehr behaupten. Heftig umstritten ist allerdings, ob dem Embryo bereits der gleiche Würdeschutz zukommt wie dem erwachsenen Grundrechtsträger. Und die Inhalte der Würdeidee? Hier gibt es unterschiedliche Positionen. Der Großteil geht davon aus, dass die Menschenwürde eine abstrakte unverlierbare Werteigenschaft ist, die jedem Menschen, allein weil er Mensch ist, zukommt. So sehr sich Personen individuell voneinander unterscheiden mögen, sie alle haben dieselbe Würde, weil sie gleichwertige Mitglieder der Menschengemeinschaft sind. Das ist, kurz gefasst, die traditionelle verfassungsrechtliche Grundposition. Heute jedoch gewinnen Positionen an Bedeutung, die an eine eher alltagssprachliche Verwendung des Würdebegriffs anknüpfen. Etwa wenn jemand sagt, es sei „unter seiner Würde“, dies oder jenes zu tun. Oder wenn wir von der Würde eines Amtes sprechen. Damit ist offensichtlich etwas anderes gemeint als ein allgemeiner unverlierbarer Wert, der jedem Menschen zukommen soll. Hier meint man eine besondere Dignität, die einer bestimmten Person aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung und Leistung zuerkannt wird. Das sind zwei völlig unterschiedliche Verwendungen des Würdebegriffs. Versteht man Würde derart als Leistung, so kann der Begriff auf menschliche Embryonen gar keine Anwendung finden. Es ist heftig umstritten, ob und, wenn ja, wie diese beiden Verwendungen zusammen gehören. Was sind die Konsequenzen aus dem Wandel des Würdebegriffs? Solange man glaubte, auf unproblematische Weise davon ausgehen zu können, dass die Menschenwürde ein unverlierbarer Wert ist, der schlicht jedem Menschen zukommt, konnte die Würdeidee als Fundament unseres Grund- und Menschenrechtsdenkens gelten. Wenn aber diese fundamentale Idee einer für alle gleichen Würde ins Wanken gerät, dann ist unser Grund- und Menschenrechtsdenken insgesamt in Gefahr. Also auch der Anspruch auf Schutz der Menschenwürde gerät ins Schlingern? Aus der Idee einer universellen Menschenwürde lässt sich ein ebenso unverlierbares und universelles Recht auf Würdeschutz ableiten. Wer an dieser Idee kratzt und behauptet, es gebe menschliche Lebensformen, denen Würde bloß in abgestufter Form zukommt, scheint vorschnell Abstufungen auch beim Würdeschutz in Kauf nehmen zu wollen. Ein Frage, die die Rechtssprechung tangiert. Die auch in der Öffentlichkeit breit geführte Diskussion wird nicht ohne Rückwirkung auf das Denken der Verfassungsrechtler bleiben. Auch die Kirchen und die Politik sind betroffen. Die steigende Zahl von bioethischen Beratungskommissionen zeigt, dass inzwischen auch diejenigen, die sich von Berufs wegen lange Zeit eines unverlierbaren Würdebegriffes sicher glaubten, Anschluss an die Debatten suchen. Welche Tendenzen ergaben sich auf der Tagung an der Universität Potsdam? Dort kam eine jüngere Generation von Philosophen zu Wort, die in einer gewissen Weise nicht vorbelastet ist von den tiefgreifenden verfassungsrechtlichen Diskussionen direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach der Erfahrung von Nationalsozialismus und auch Stalinismus konnte der Würdebegriff lange Zeit als ein ultimativer rhetorischer Bezugspunkt dienen. Sobald jemand sagte, die Würde des Menschen sei berührt, war jede hitzige Debatte umgehend zum Erliegen gebracht. Das ist heute anders. In welche Richtung haben Sie sich bewegt? Auf der Tagung überwiegte der Versuch, den umkämpften Würdebegriff dadurch retten zu wollen, dass man ihn enttabuisiert. Es sollte zumindest einmal darüber nachgedacht werden, ob es unter Umständen nicht doch gerechtfertigt sein kann, unterschiedlichen Menschen ein mehr oder weniger an Würde zu attestieren. Im Alltag sind wir es ja durchaus gewohnt, davon zu sprechen, dass eine bestimmte Person sich würdelos benimmt oder auch entwürdigt worden ist, während eine andere ihr Leben mit Würde trägt. Ist das denn bloß ein Missverständnis? Hier in Potsdam wurde eine wachsende Tendenz erkennbar, Würde als etwas zu begreifen, was Menschen in ihrem sozialen Miteinander nicht zuletzt verkörpern müssen. In diesem Sinne kann nicht jeder Mensch immer schon in gleichem Maß Würde haben. Die Tagung hat aber auch gezeigt, dass dabei ein folgenschwerer Denkfehler vermieden werden muss. Selbst wenn die Philosophie von einem abgestuften Würdebesitz ausgehen will, kann sie dennoch ein universelles Recht auf Schutz der Würde einklagen. Das sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Hätte demnach ein Verbrecher eine geringere Würde als ein Unbescholtener, ein Greis oder Säugling eine andere Würde als ein „normaler“ Erwachsener? So ist es. Der zentrale Punkt ist aber, dass ihnen allen dennoch genau das gleiche Recht auf Würdeschutz zusteht. Menschen sind auf den unbedingten Schutz ihrer Würde angewiesen, eben weil sie nicht alle gleichermaßen Würde besitzen. Das Gespräch führte Jan Kixmüller Dr. Arnd Pollmann (34) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am MenschenRechtsZentrum der Uni Potsdam. Die Tagung „Recht der Würde“ am vergangenen Wochenende hat er mit organisiert.
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