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Tagsüber leer, spielen sich nachts im „Nowawes“ zwar vielleicht keine Dramen, aber die kleinen und großen Stücke des menschlichen Miteinanders ab: das Lieben, Streiten, Trinken, Versöhnen.

© Martin Eifler

Über das "Nowawes" in Babelsberg: Das rote Wohnzimmer

Babelsberg gilt traditionell als linker Stadtteil, auch wenn die Zeiten eigentlich vorbei sind. An manchen Orten kann man sie jedoch noch spüren – etwa in der Stadtteilkneipe „Nowawes“.

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Potsdam - Wenn Babelsberg das linke Wohnzimmer Potsdams ist, dann wäre das Karl-Liebknecht-Stadion die Spielwiese und die Stadtteilkneipe „Nowawes“ der warme Platz am Ofen. Der Name „Nowawes“ ist nicht zufällig gewählt, er bezieht sich auf das böhmische Weberdorf, das vom aristokratischen Potsdam bereits seit dem 19. Jahrhundert als „Rotes Nowawes“ beschimpft wurde: Die Bewohner dieses Arbeiterviertels galten seit jeher als Rebellen. Noch im Februar 1933 kam es zu Massenprotesten, um einen Aufmarsch der NSDAP durch Nowawes zu verhindern. 1938 wurde der Name des Stadtteils dann von den Nationalsozialisten getilgt, zu slawisch klang er ihnen – übersetzt bedeutet er allerdings einfach nur „neues Dorf“. Fortan verschmolz Nowawes mit dem fast gleich lautenden Neuendorf zu Babelsberg. Damit sollte auch dieser rote Fleck im braunen Sumpf aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht werden. Gelungen ist das jedoch nie.

Polizei stürmt "Nowawes" am vergangenen Mittwoch

Die Stadtteilkneipe „Nowawes“ gab es damals freilich noch nicht, 2005 wurde sie erst eröffnet – wobei der Name natürlich eine Reminiszenz an die alten Zeiten ist. Und als am vergangenen Mittwochabend der Demonstrationszug der rechtsoffenen Pogida-Bewegung durch Babelsberg und am „Nowawes“ vorbeimarschieren wollte, war das – ganz klar – eine Provokation. Auch wenn die Demo gar nicht bis zum „Nowawes“ kam, einen Eklat gibt es an diesem Abend dennoch: In Sichtweite der Kneipe kommt es zum Gerangel, ein Polizist wird wohl angespuckt, der Täter verschwindet. Völlig unangemessen war das, ohne Frage. Kurz darauf wird die Kneipe gestürmt, als ob Gefahr im Verzug wäre, die Tür geht zu Bruch, es kommt zu Rangeleien. Dass der von den Polizisten gesuchte Straftäter gar nicht im „Nowawes“ ist – geschenkt.

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Aber die Geschichte passt zum Image der Kiezkneipe, in der es hinterher – wie immer – friedlich bleibt: Die aufmüpfigen „roten Babelsberger“ können sich an diesem Abend heimlich in der Rolle der Störenfriede gefallen, auch ohne etwas anderes getan zu haben, als sich nach der erfolgreichen Verteidigung ihres Stadtteils noch ein Bier zu gönnen. Klar: Eine Kneipe kann nicht links sein, kein Gebäude kann das, genauso wenig wie eine Garnisonkirche rechts sein kann – aber aus Schubladen kommt man nicht so einfach wieder heraus.

Den Stempel als linke Kneipe

So behält eben eine Kiezkneipe, die auch noch Treffpunkt der SV-Babelsberg-03-Fans ist, den Stempel der linken Kneipe. Aber wenn man richtig hinsieht, gehören Krawall und Remmidemmi als gemeinhin tradierte Attribute roter Aufmüpfigkeit nur noch selten zum Babelsberger Lifestyle: Die Fans des Traditionsvereins SV Babelsberg 03 positionieren sich zwar seit jeher deutlich antirassistisch und explizit anti-homophob, gewaltsame Ausschreitungen gab es jedoch seit Langem nicht. Und auch den Babelsbergern, deren größter Teil nunmehr nicht mehr aus marxistischen Arbeitern, sondern aus bürgerlichen Familien besteht, gehen Feuerwerkskörper auf Pogida-Gegendemos gewaltig auf den Keks. Aber ins „Nowawes“ kommen junge Eltern ohnehin nicht allzu oft. Dabei gibt es im „Nowawes“ durchaus diese heimelige Wohnzimmeratmosphäre, die in vielen Kneipen gar nicht mehr zu finden ist. Die Kiezkneipe, in der Martin Eifler hinterm Tresen steht, versteht sich auch als ein kultureller Mittelpunkt Babelsbergs, nicht nur als Tankstelle für Bierliebhaber.

Es gibt den Nulldrei-Talk, bei dem sich die Spieler der Regionalliga-Mannschaft Fragen stellen, aber auch die Potsdamer Politik lässt sich gern mal zum Gespräch laden: Ex-Baubeigeordneter Matthias Klipp saß schon auf dem Sofa – freilich als er noch im Amt war – und auch der konservative Stadtverordnete Peter Schultheiß von den Potsdamer Demokraten. Und es gibt viel Musik bei freiem Eintritt: Mit der Kreuzberger Pub-Rock-Band Kofski & Sofski and the Golden Cocks existiert sogar eine Hausband, die jeden dritten Sonntag im Monat ein Konzert gibt. Aber auch Potsdamer Künstlern wird hier eine Bühne gegeben. Und ab und zu fühlt es sich wieder so an, als wäre Babelsberg immer noch der alte, rote Arbeiterbezirk.

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Oliver Dietrich

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