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Landeshauptstadt: Das Selbstverständnis vom Geben

Friedrich-Wilhelm Franke baute am Gewölbe der Kirche am Neuendorfer Anger mit. Die Angerkirche ist gleichsam Symbol für bürgerschaftliches Engagement und Denkmal für Babelsberg

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„Das ist doch selbstverständlich“, sagt Friedrich-Wilhelm Franke. Dass er mit eigener Hände Arbeit die Kirche am Neuendorfer Anger mit aufgebaut hat, dass er drei Mal in der Woche geführte Besichtigungen der Noch-Baustelle anbietet und dass er alle vierzehn Tage die Schlaganfall-Selbsthilfegruppe leitet – alles unentgeltlich und ehrenamtlich.

Der 69-Jährige verkörpert die bewegte Bürgerschaft von Babelsberg, „seine“ Kirche ist Stein gewordenes bürgerschaftliches Engagement: 118 Firmen, Institutionen und Einzelpersonen – die meisten aus der Region – halfen das zu einem hohlen Zahn verwahrloste Kirchengemäuer wieder zu einem Schmuckstück zu machen. Allen voran zwei gute Seelen: Rudolf Moisl und eben Friedrich Wilhelm Franke.

Vom Stubenfenster seines Geburtshauses im Neuendorfer Anger 18 aus habe er immer die traurige Aussicht gehabt. Dies und weil er als Maurermeister vom Fach sei, habe ihn in die Pflicht genommen beim Wiederaufbau zu helfen, beantwortet Franke die Frage nach seinen Motiven gewohnheitsgemäß. Das ist aber nur ein Teil der ganzen Geschichte. Weihnachten 2002, als der erste Heilige Abend nach über hundert Jahren zum ersten Mal wieder in der Anger-Kirche gefeiert werden konnte, entstand beim Blick in die blanke Dachkonstruktion die Idee, auch das Sternrippengewölbe wieder herzustellen. In der selben Zeit erlitt Frankes Frau Brigitte ihren zweiten Schlaganfall und fiel ins Koma, aus dem sie nicht mehr erwachte. Im Februar des Folgejahres starb Brigitte Franke. „Als mich der Bauunternehmer Roland Schulze ansprach und mich bat mitzumachen, nahm ich auch an, weil es mir Ablenkung von der Trauer verschaffte“, erzählt der Witwer.

Mit dem Gewölbe, an dem er gemeinsam mit Stuckateur Moisl fünf Monate in unzähligen Arbeitsstunden werkelte, hat er sein zweites Meisterwerk abgeliefert. Zu DDR-Zeiten sei die so genannte Rabbitz-Technik kaum gefragt gewesen, und eine so große Kuppel eine echte Herausforderung. Im Unterschied zu der inzwischen verstorbenen Theologin und Mitbegründerin des Fördervereins Anger-Kirche, Gisela Opitz, habe er es nicht des Glaubens wegen getan. „Ich bin kein gläubiger Mensch“, sagt der Rentner. Zwar sei er Kirchenmitglied und gehe einmal im Jahr zu Weihnachten in den Gottesdienst. „Aber das ist es auch.“ Was ihn angespornt habe, sei das Ergebnis. „Ich kann sehen, was wir geschafft haben.“ Als Lohn für das Engagement gab es Lob von allen Seiten und einen Stern im Himmelsgewölbe. Moisl und Franke haben sich aber noch persönlich in der Deckenkonstruktion verewigt: In einer Kartusche ließen sie Zeitungsartikel über das Projekt, einen Quelle-Katalog und ihre Rentenbescheide einschweißen und verstauten sie im Hohlraum zwischen Dach und Decke.

Franke, Maurermeister in vierter Generation, musste vor neun Jahren seinen betrieb im Neuendorfer Anger aufgeben, nachdem er einen Herzinfarkt erlitten hatte. Damals war seine Frau bereits nach einer Tumoroperation halbseitig gelähmt und wies Symptome einer Schlaganfallpatientin auf. „Sie war immer in Bewegung“, erinnert sich der Witwer. Und sie gab auch den Anstoß zur Gründung einer Selbsthilfegruppe für Schlaganfall-Betroffene in Potsdam. Am Anfang sei er nur der Chauffeur gewesen, der seine Frau zu den Treffen fuhr. Mit der Einbeziehung der Angehörigen nutze auch er die Hilfe zur Selbsthilfe. „In einem Kreis Gleichgelagerter kann man über Dinge reden, die man mit niemandem sonst bespricht, wie das Thema Patientenverfügung“, erklärt Franke. „Nach dem Tod von Brigitte baten mich dann die zwölf Mitglieder und ihre Angehörigen, die Gruppe zu managen.“ Es scheint, als falle es Franke schwer, Nein zu sagen. Der 69-Jährige gibt gern, „weil es mir Spaß macht.“ Das scheint über vieles hinwegzutrösten. So mache es ihm Freude, für die Selbsthilfegruppe Ausflüge mit dem Dampfer oder zum neuen Theaterstandort in die Schiffbauergasse und natürlich die regelmäßigen Treffen zu organisieren.

Sein Wirkungskreis liegt aber auch nach wie vor direkt vor der Haustür. Immer dienstags, donnerstags und sonnabends ist Baustellenbesichtigung, „so lange es geht“. Offizielle Wiedereinweihung der von 1850 bis 1853 im Auftrag von König Wilhelm IV. errichteten Kirche solle Mitte Januar 2007 sein. Zurzeit sehe es im Innern aber noch ein bisschen unordentlich aus, gesteht der ehrenamtliche Förderer. Das Bauwerk erhält nämlich eine „supermoderne Heizung“, wie Franke schwärmt. So seien Kapilarrohrmatten ins Mauerwerk und Heizrohre in den Fußboden eingelassen worden. Die Wärme werde aus dem Erdinnern gewonnen. Die Wärmepumpe sei eine Spende des Schwedischen Herstellers Nibe, der seinen Markt nach Deutschland erweitern wolle. Als Gegenleistung erhielten die Schweden einen Schlüssel zur Kirche, damit sie ihren Kunden das Heizsystem an repräsentativem Ort vorführen könnten.

Geben und Nehmen. Im Ausreizen dieses Prinzips scheinen die Babelsberger sehr findig zu sein. Am Neuendorfer Anger haben sich nicht nur die vierzig Fördervereinsmitglieder und die über hundert Aktiven am Bau ein Denkmal gesetzt. Gisela Opitz sprach damals vom Babelsberger Wunder. Dabei verstand sie das Wunder nicht als Durchbrechung von Naturgesetzen, sondern als Durchbrechung menschlicher Erfahrung. „Mit so viel Unterstützung hatten wir niemals gerechnet“, machte auch Franke eine neue Erfahrung. Man sollte die Babelsberger eben nicht unterschätzen.

Nicola Klusemann

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