
© Manfred Thomas
Von Erhart Hohenstein: Das Stadtschloss will sie noch sehen
Ilse Nowak feierte gestern im Emmaushaus ihren 101. Geburtstag
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Das Potsdamer Urgestein Ilse Nowak will das neue Stadtschloss noch sehen. Daran erinnerte sie gestern an ihrem 101. Geburtstag Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD). Der hatte der im Emmaushaus wohnenden früheren Lehrerin im Vorjahr dieses Versprechen gegeben. Vielleicht werde sie etwas länger als gedacht auf die Besichtigung warten müssen, erklärte Jakobs bei seinem Geburtstagsbesuch in Anspielung auf die Querelen und Verzögerungen beim Bau des künftigen Landtags, doch angesichts ihrer guten Gesundheit könne sie das schaffen.
Da liegt er richtig, denn Ilse Nowak ist zwar nicht mehr gut zu Fuß und auf den Rollstuhl angewiesen, geistig macht sie aber vielen Jüngeren etwas vor. Sie liest sehr viel, dazu braucht sie nach wie vor keine Brille. Täglich sieht Nowak mehrere Zeitungen durch und kreuzt jede Unkorrektheit an. Rechtschreibfehler aufzuspüren ist nämlich ein Hobby der ehemaligen Lehrerin.
Ilse Nowak ist eine der wenigen noch lebenden Schülerinnen der in der Kaiserzeit gegründeten ersten preußischen Handels- und Gewerbeschule, die Mädchen den Weg zu beruflicher Bildung öffnete. Nach dem Schulbesuch von 1926 bis 1930 wurde die junge Frau später an der von Johanna Just gegründeten und bis 1926 geführten Einrichtung selbst Lehrerin für Hauswirtschaft, Handarbeit und Turnen. Später übte sie ihren Beruf in Belzig und an Schulen in Potsdam aus. Ihren ersten Ehemann verlor Ilse Nowak nach kurzer Zeit, er starb in russischer Kriegsgefangenschaft. Aus dieser Ehe ging als Sohn Gerd Eggers hervor, später ein bekannter Lyriker, Liedermacher und Kinderbuchautor. Neben Gedichten und Liedern veröffentlichte er 1993 auch einen „Kinderstadtführer Potsdam“. Er ist inzwischen schwer erkrankt. Aus zweiter Ehe hat Ilse Nowak weitere zwei Söhne, dazu kommen vier Enkel und zwei Urenkel.
Für die Jubilarin, die in der Breiten Straße nahe der Garnisonkirche geboren wurde und dort auch ihre Kindheit verbrachte, ist die Wiederherstellung der kriegszerstörten Potsdamer Mitte eine Herzensangelegenheit. Deshalb schloss sie sich der Aktionsgemeinschaft für den Aufbau der Potsdamer historischen Innenstadt (Agaphi) an. Für ihr Engagement wurde sie mit der Ehrennadel des Vereins ausgezeichnet.
Auch an den Potsdamer Neuesten Nachrichten, deren langjährige Abonnentin sie war, wirkte Ilse Nowak mit. Noch als Neunzigjährige schrieb sie im September 1999 unter dem Titel „Johanna Just im kleinen Stadthaus“ einen stadtgeschichtlichen Beitrag über die Entwicklung und die verschiedenen Standorte der Gewerbeschule, deren Gelände an der Berliner Straße heute vom Oberstufenzentrum III für etwa 2000 Auszubildende genutzt wird.
In einer Andacht blickte Pfarrer Matthias Fiedler, theologischer Vorstand des Landesausschusses für Innere Mission (LAFIM), gestern Vormittag auf das ereignisreiche Leben der nunmehr Hunderteinsjährigen zurück. Den Stuhl der Jubilarin hatte das Heimpersonal mit Blumengirlanden umwunden. Für den Nachmittag hatten sich Kinder, Enkel und Urenkel zur Familienfeier angesagt.
Erhart Hohenstein
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