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Landeshauptstadt: „Das Tet-Fest wird gegessen“

Vietnamesen begehen ihren Jahreswechsel traditionell im Kreise von Freunden und Verwandten

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Am Schlaatz – Aufgeregt polken die vietnamesischen Kinder die Glückskekse aus der goldenen Verpackung. Bevor das Gebäck verzehrt wird, lesen sich die Knirpse die Orakelsprüche vor.

Die Glückskekse sind industriell gefertigt, das wäre im südostasiatischen Land anders. Aber die Vietnamesen in Potsdam müssen das wichtigste Fest in ihrer Kultur den hiesigen Gegebenheiten etwas anpassen. Tet – für Kontinentaleuropäer als Mischung aus Weihnachten und Neujahr umschrieben – wird zum Start des neuen Mondjahres gefeiert. Im Bürgerhaus am Schlaatz begingen Vietnamesen und Freunde gestern das diesjährige Tet-Fest, organisiert vom Song Hong-Verein Potsdam.

„Es ist ein Familienfest im wahrsten Sinne des Wortes“, erklärt Vereinsvorsitzende Hai Bluhm. „Alle Verwandten kommen zusammen, um gemeinsam das alte Jahr ausklingen zu lassen und ins neue zu feiern.“ Zentraler Treffpunkt sei dabei der Esstisch. „Es heißt bei uns auch: Das Tet-Fest wird nicht gefeiert, es wird gegessen“, sagt Hai Bluhm lachend. Der traurige Hintergrund dabei: Jahrhundertelang haben sich Vietnamesen im von Hungersnöten geplagten Land danach gesehnt, sich satt essen zu können. Meist war das aber nur zum Jahreswechsel möglich.

Viele Speisen haben spirituelle Bedeutungen. Der grüne Klebreiskuchen in Quadratform steht für die Erde. „Vielleicht haben die früher gedacht, die Erde sei viereckig“, sagt Hai Bluhm grinsend. Der runde Kuchen „Ban giay“ soll hingegen den Himmel darstellen. Diese traditionellen Gerichte fehlten gestern im Saal des Bürgerhauses am Schlaatz natürlich nicht. „Wir haben viele Sachen selbst zubereitet, einiges von vietnamesischen Händlern anliefern lassen.“ Der Sekt hingegen kommt aus Sachsen. „Ja, auch wir stoßen auf das Neue Jahr mit Sekt an“, bestätigt Hai Bluhm. Einige Bräuche scheinen global verbreitet zu sein. Auch die Feuerwerksknallerei stand bis vor wenigen Jahren hoch im Kurs, um böse Geister zu vertreiben. „Ohrenbetäubend ist der Lärm gewesen“, erinnert sich Hai Bluhm an Feste in Asien. Und gefährlich. Fast genauso traditionell gab es immer wieder Unglücke und Brände, so dass offiziell Raketen und Böller verboten wurden. Im Bürgerhaus wurde gestern Abend auch nur mit Sektkorken geknallt. Für die rund 400 Vietnamesen, die in Potsdam und der Umgebung leben, will der Verein Hong Song ein Bindeglied zwischen der neuen deutschen Heimat und den vietnamesischen Traditionen sein. Und es gibt mehr Gemeinsamkeiten als man glauben möchte. Dass ein deutscher Chor das Fest musikalisch untermalte, darf für Verwunderung sorgen. Als aber passend zum Mozart-Jahr „Komm lieber Mai und mache“ angestimmt wird, greift sich Hai Bluhm kurzerhand ein Mikro und singt. Vietnamesisch. „Das habe ich in der vierten Klasse gelernt.“ Nicht nur beim Sekt zum Jahreswechsel scheinen beide Kulturen zu harmonieren. KG

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